Der Wahl-O-Mat der Bundeszentrale für politische Bildung wurde seit der Einführung im Jahr 2002 stetig weiterentwickelt. Zwischenzeitlich ist er zu einem mächtigen Werkzeug zur politischen Meinungsbildung geworden. Es gibt inzwischen allerdings auch eine Menge weiterer Dienste, die den Wahl-O-Mat sinnvoll ergänzen. Ein Überblick.
Ich fühle mich mäßig politisch: ich habe zwar ein halbwegs klares Bild, welche Partei ich für wählbar halte und welche auf keinen Fall, aber wenn ich das im Einzelnen begründen sollte, käme ich schnell ins Stolpern.
Der Wahl-O-Mat ist da eine grandiose Hilfe: man klickt sich zunächst durch 38 Thesen, zu denen vorab (fast) alle kandidierenden Parteien ein Statement abgegeben haben. Anschließend kann man Thesen auswählen, die einem besonders am Herzen liegen und die daher doppelt gewertet werden sollen. Das dauert nur wenige Minuten, und anschließend kann man sich anzeigen lassen, welche Partei mit den eigenen Überzeugungen am ehesten übereinstimmt.
Das kann manches Mal überraschend und erhellend sein. Seit der Klage der Partei Volt im Jahr 2019 muss der Wahl-O-Mat ermöglichen, alle Parteien auf einmal zu vergleichen – die bisherige Einschränkung auf maximal acht Parteien hatte Kleinparteien benachteiligt. Mit dieser Änderung kann ich z.B. erfahren, dass mir die Tierschutzpartei am allernächsten steht, aber auch die Hip-Hop-Partei „du.“ meine Werte ganz gut vertreten würde. Ob ich solch spezifischen Parteien tatsächlich eine Regierungsfähigkeit zutraue, steht natürlich auf einem anderen Blatt.
Spannend wird es dann auf den folgenden Seiten: da kann ich mir im Einzelnen anschauen, bei welcher These ich mit welcher Partei übereinstimme und mir auch die Begründungen der einzelnen Parteien für deren Zustimmung oder Ablehnung anzeigen lassen. Spätestens hier geht es nicht mehr um oberflächliches Herausfiltern der „passendsten“ Partei, sondern um solide politische Meinungsbildung. An dieser Stelle habe ich beim ersten Durchlauf einige Zeit verbracht und erforscht, warum diese oder jene Partei an dieser oder jenen Stelle einen anderen Standpunkt hat als ich. Und dann kann ich mir überlegen, ob wir vielleicht eine ähnliche Haltung zu einer vielschichtigen Frage haben, die nur im Endeffekt zu einem unterschiedlichen Urteil geführt hat. Oder ich merke, dass ich Aspekte nicht im Blick hatte, die mich meine Haltung noch mal überdenken lassen. Dass der Flugverkehr stärker besteuert werden soll steht für mich keine Sekunde in Frage, aber ob Nord Stream 2 in Betrieb gehen soll? Ob der Solidaritätszuschlag abgeschafft werden soll? Puh, schon komplizierter. Wenn einem all zu sehr der Kopf schwirrt, empfehle ich, zwischendurch die Begründungen der PARTEI zu lesen – die machen unweigerlich gute Laune.
Die Alternativen
DeinWal – der Blick in die Vergangenheit
Dem Wahl-O-Mat wird nicht ganz zu Unrecht vorgeworfen, dass er sich lediglich auf Versprechen bezieht, von denen alles andere als klar ist, inwieweit sich die Parteien nach der Wahl daran halten werden. Einen anderen Ansatz wählt DeinWal. Dort kann ich meine Haltung zu Fragen eingeben, über die in den vergangenen Jahren im Bundestag abgestimmt wurde. Es geht also nicht um Versprechen, sondern das ganz reale Abstimmungsverhalten in der Vergangenheit.
Die Beantwortung dieser Fragen – das hätte ich mir denken können – ist schon deutlich komplexer. Die hat sich eben niemand am grünen Tisch ausgedacht, sondern sie stammen aus dem echten Leben. Auf welches konkrete Maß die Leistung aller deutschen Kohlekraftwerke in drei Jahren heruntergefahren werden soll, oder ab wie viel Milligramm Stickoxid pro Kilometer Fahrzeuge von Fahrverboten ausgenommen werden sollten… was weiß denn ich. Auch hier gibt es wieder die Möglichkeit, sich auf Stunden mit den Daten zu beschäftigen: ich kann mir nicht nur das Abstimmungsverhalten der Partei zu jeder Frage anzeigen lassen, sondern sogar das jede*r einzelnen Abgeordneten. Theoretisch haben die Abgeordneten hier auch die Möglichkeit, ihr Stimmverhalten zu kommentieren – mir ist aber niemand begegnet, der davon Gebrauch gemacht hätte.
abgeordnetenwatch.de und KandidierendenCheck
Wer sich noch genauer über Abgeordnete – etwa aus dem eigenen Wahlkreis – informieren möchte, wird auf abgeordnetenwatch.de fündig. Dort findet sich ein umfangreiches Profil, etwa zu Nebentätigkeiten und Ausschuss-Mitgliedschaften. Es gibt auch die Möglichkeit, den Kandidat*innen gezielt Fragen zu stellen und diese öffentlich beantworten zu lassen.
Eine Ergänzung zu abgeordnetenwatch.de ist der KandidierendenCheck. Hier kann ich mich gezielt mit den Kandidierenden aus meinem Wahlkreis auseinandersetzen. Das Prinzip ist inzwischen vertraut: man äußert Zustimmung oder Ablehnung zu einer Reihe von Thesen und kann dies anschließend mit den Antworten der Kandidat*innen abgleichen. Auch hier lauern wieder Überraschungen. These 16: „Das Blutspendeverbot für schwule und bisexuelle Männer soll aufgehoben werden.“ WTF – so was haben wir im Gesetz stehen?
Digital-O-Mat – der Blick auf Digitalisierung
Digitalisierung ist ein enorm wichtiges Thema – für so manche Partei ist das allerdings auch Neuland, und im Wahl-O-Mat taucht das Thema nicht nennenswert auf. Ein Verband verschiedener Organisationen – etwa Wikimedia, CCC und Freifunk, haben daher den Digital-O-Mat entwickelt mit Fragen, die sich speziell um dieses Themengebiet drehen. Auch da lauern wieder schwierige Entscheidungen (Vorratsdatenspeicherung, puh…). Große Überraschungen gibt es hier aufgrund der geringen Zahl an Fragen nicht, aber spannend ist es allemal.
Wahltraut – die feministische Wahlomatin
Einen ähnlichen Ansatz verfolgt Wahltraut – die Beraterin zur Bundestagswahl. Hier werden gezielt feministische Thesen mit den Positionen der Parteien abgeglichen. Das fügt weitere, wichtige Perspektiven hinzu – wenn auch mit wenig überraschendem Ergebnis: Linke, SPD und Grüne klar vorne dabei, FDP durchwachsen, CDU… oh je.
…und, und, und.
Zuletzt erwähne ich noch kurz Wahl-Kompass und Wahl-Swiper. Wow – mir war nicht bewusst, wie viele solcher Tools es inzwischen gibt.
Nach der Beschäftigung mit all diesen Helferlein schwirrt mir der Kopf: an manchen Stellen konnte ich mir eine präzisere Meinung bilden, bei anderen Fragen habe ich gemerkt, dass ich im ersten Tool dafür, im nächsten dagegen und im dritten „neutral“ stimme – einfach weil ich auf dem Weg gemerkt habe, dass das alles nicht so einfach ist. Bundesweiter Mietendeckel etwa – was heißt das so ganz genau? Puh. Im Zweifel fährt man vermutlich nicht ganz schlecht mit der Prämisse „Lebe stets so, dass die AfD (und die CDU, ergänze ich im Geiste) etwas dagegen hat.“
Uiuiui, zu erwähnen sind auch noch der Sozial-O-Mat der Diakonie mit Fokus auf soziale Fragen: https://www.sozial-o-mat.de
Außerdem der Steuer-O-Mat, der einem ausrechnet, wie sich „die Steuerpläne der Parteien (…) ganz persönlich auf dem Konto niederschlagen würden“: https://www.steuer-o-mat.de
Noch mehr -o-Maten erwähnt Telepolis: https://www.heise.de/tp/features/Wie-ich-lernte-Volt-zu-lieben-6194384.html
Und dann ist da noch die Wahlkreisprognose von election.de, die beim taktischen Vergeben der Erststimme hilfreich sein kan: https://www.election.de