Auch fürs vergangene Jahr wieder: welche Filme, Bücher, Konzerte sind hängengeblieben?
🎬 Ich bin dein Mensch
Wie kam ich auf den? Sandra Hüller, klar, immer prima. Dass er so tiefe Fragen aufwirft – wie fatal es wäre, wenn man eine*n Partner*in hätte, die so perfekt zu einem passt, dass jegliche Sehnsüchte erfüllt sind? Konnte ich nicht wissen. Umso besser.
📖 Treideln (Juli Zeh)
Was macht man, wenn man von einer hochgeschätzten Autorin schon so gut wie alles gelesen hat? Wühlen, ob es da nicht doch noch was Älteres, Unentdecktes gibt. Stößt dann vielleicht auf dieses Buch zu ihrer „Frankfurter Poetikvorlesung“ und denkt sich: „Puh, ja, wenn’s sein muss“. Und ist dann ganz beglückt, etwas ganz anderes zu bekommen als trockene Literaturtheorie. Beispielsweise bissige Auseinandersetzungen mit ihrem Steuerberatungsbüro und dem Abfallwirtschaftsbetrieb Mittelbrandenburg. Und dazwischen reihenweise Einblicke in den unglamourösen Schriftstellerinnenalltag. Ein guter Start ins Jahr!
🎬 Anima – Die Kleider meines Vaters
Eine fulminante Familienbiographie – und der erste Film, in dessen Abspann mein Name auftaucht. Ja wirklich!
Uli Decker hat einen wunderbaren Film über ihren Vater gedreht, der Zeit seines Lebens heimlich Frauenkleidung getragen hat. Kein Verbrechen, aber ein Unding für einen braven Familienvater auf dem bayrischen Dorf. Ein ebenso berührendes wie lustiges Familienporträt, das dieses Jahr auf unzähligen Festivals lief. Gratulation!
🎬 Ginger & Rosa
London 1962: Die besten Freundinnen Ginger und Rosa rebellieren gegen Eltern und gesellschaftlichen Mief, schwänzen die Schule, ziehen mit Jungs um die Häuser. Liebe, Politik, Religion, die beiden Mädchen teilen alles und wollen nicht so sein wie ihre Mütter. Doch während Ginger sich politisch gegen den Atomkrieg engagiert und die Welt retten will, beginnt Rosa mit deren Vater eine heiße Affäre. Ihre „ewige“ Freundschaft bricht auseinander.
🎬 Persepolis
Den habe ich eine Weile vor mir hergeschoben – und in diesem Jahr ist er aktueller denn je. Der Film erzählt die Kindes- und Jugendgeschichte der Regisseurin während und nach der Islamischen Revolution im Iran. Ein beklemmender und eindrücklicher Einblick in eine ganz andere Welt.
🎬 Lady Bird
Greta Gerwig („Frances Ha“) zum ersten Mal nicht vor, sondern hinter der Kamera. Ein fulminantes Debüt!
Christine, die sich nur LADY BIRD nennt, wächst im öden Sacramento auf. Sie hat große Träume, die in krassem Gegensatz zu den Möglichkeiten stehen, die ihr ihre Eltern – der Vater arbeitslos, die Mutter Krankenschwester – bieten können. Doch sie lässt sich nicht beirren, möchte nach der Highschool möglichst nach New York, um dort zu studieren. Dabei ist sie allenfalls eine durchschnittliche Schülerin und hat nicht die geringste Chance auf ein Stipendium. Während die Mutter nun also versucht, den Dickschädel ihrer Tochter mit pragmatischem Denken zu impfen, flattert diese los, um erste amouröse Abenteuer zu erleben. Spannungen und Turbulenzen, Konflikte und Enttäuschungen sind die Folge …
🎬 Der junge Karl Marx
Teils klassisches Biopic, teils Thesenfilm, teils Agitationskino: Der junge Karl Marx ist zwar nicht immer klar fokussiert, aber dafür anregend vielschichtig. In großen Bildern und mit viel Sensibilität erzählt der gebürtige Haitianer Raoul Peck die Entstehungsgeschichte einer welterschütternden Idee als Porträt einer engen Freundschaft. Ihm gelingt dabei ein so intimer wie präziser Blick in die deutsche Geistesgeschichte.
🎬 #Female Pleasure
Fünf Frauen, die jeweils einer anderen Weltreligion angehören, stellt Barbara Miller ins Zentrum ihres Films. Frauen, die sich gegen ihre Unterdrückung und für ein selbstbestimmtes Leben und eine selbstbestimmte Sexualität entschieden haben. So wie Deborah Feldman, die in einer ultraorthodoxen Familie in Brooklyn aufwuchs, erst unmittelbar vor ihrer arrangierten Hochzeit von Sex und ihren Pflichten als Ehefrau erfuhr – und ausbrach.
Female Pleasure kommt in keinem Moment mit erhobenem Zeigefinger daher, sondern erzählt sehr spielerisch und gut montiert von der lustvollen Selbstermächtigung der Protagnistinnen. Der Film macht Hoffnung, dass die Renaissance ultrakonservativer Kräfte nur das letzte Aufbäumen einer Kultur ist, deren Zeit vorbei ist.
🎬 Gegen den Strom
Eine hochaktuelle, ebenso knochentrockene wie politisch scharfzüngige Komödie.
Halla ist fünfzig und eine moderne Kriegerin, stark, konsequent, sportlich, unabhängig, auf stille Art attraktiv. Hinter der Fassade einer gemächlichen Routine als Musiklehrerin führt sie ein Doppelleben als leidenschaftliche Umweltaktivistin. Mit ihren riskanten Aktionen gelingt es ihr, die Verhandlungen zwischen der isländischen Regierung und einem internationalen Investor zu stoppen. Doch dann bringt die Bewilligung eines fast schon in Vergessenheit geratenen Adoptionsantrags Hallas gradlinige Pläne aus dem Takt. Entschlossen plant sie ihre letzte und kühnste Aktion als Retterin des isländischen Hochlands …
📖 Irma (Tex Rubinowitz)
Minimale Handlung, maximale Unterhaltung. Rubinowitz erzählt aus seinem Leben, verfranst sich dabei am laufenden Band und beglückt damit seine Fans.
🎬 Girl
„Girl“ stellt das Seelenleben einer jungen Trans*Person in den Fokus. Lara wurde als Junge geboren, steht nun aber kurz vor dem Beginn ihrer Hormonbehandlung, die sie auch biologisch zur Frau machen soll. Gleichzeitig trainiert sie probehalber an einer der renommiertesten Tanzschulen Europas. Ihr Vater gibt sich alle Mühe, Lara zu unterstützen und doch wird rasch klar, dass er Laras gewaltige Herausforderungen kaum nachvollziehen kann.
📖 Handbuch für Zeitreisende (Kathrin Passig, Aleks Scholz)
Kathrin Passig dürfte ja – wenn es nach mir geht – ruhig zwei Bücher im Jahr schreiben, ich würde sie alle lesen.
📖 Faserland (Christian Kracht)
Kracht hat gemeinsam mit seiner Partnerin Frauke Finsterwalder das Drehbuch zu „Finsterworld“ geschrieben. Anlass genug, mal auszuprobieren, was er noch so schreibt.
🎬 Und wenn wir alle zusammenziehen?
Ein bissel leichtgewichtiges Weißbrot-Kino zwischendurch – Gemeinschaftsleben mal anders.
📖 Habe ich dir eigentlich schon erzählt… (Sybille Berg)
Die großartige Sybille Berg erzählt in kurzen Episoden von zwei Kindern, die aus der Enge ihrer Elternhäuser ausbrechen und dabei so manches Abenteuer erleben.
📖 Der Kameramörder (Thomas Glavinic)
Glavinic schafft es meisterhaft, einen mit einem Erzählstil zu fesseln, bei dem man das ganze Buch über denkt, dass die eigentliche Handlung erst noch kommt. Und überrascht einen dann beim letzten Satz noch mal komplett. Meisterhaft.
🎬 violently happy
Ein Porträt des Tänzers und Performancekünstlers Felix Ruckert, der in seinen Sessions gezielt mit Schmerz experimentiert. Dabei wird der Frage auf den Grund gegangen, ob Gewalt in einem freundschaftlichen und kontrollierten Rahmen die Gesellschaft besser machen könnte.
🎬 Donbass
Der Regisseur führt in 13 vielstimmigen, ausgeklügelt verknüpften Episoden durch den Donbass und zeigt ein Land, das zwischen Krieg, informellen Machtstrukturen, Korruption und Fake News zerrieben wird.
🎬 Grand Budapest Hotel
Wes Andersons Film sprüht wie gewohnt vor Witz, Raffinesse und schrägen Einfällen. Eingebettet in eine farbenfrohe und verspielte Kunstwelt, die einfach grandios fotografiert ist, entspannt sich eine abenteuerlustige, höchst unterhaltsame, aber auch anrührende und bittersüße Geschichte, die von einem exzellenten Ensemble (dem Who’s Who Hollywoods) getragen wird.
📖 Hätt‘ ich ein Kind (Lea Streisand)
Das habe ich auf einer Online-Literaturlesung der taz anlässlich der gecancelten Leipziger Buchmesse entdeckt.
Der Roman geht der Frage nach, warum wir unbedingt Kinder wollen und woher jene unerfüllbaren Ansprüche an dieses merkwürdige Wesen namens Mutter kommen, die einem immer wieder von Regierung und Gesellschaft vorgesetzt werden.
🎬 Little Women
Erneut Greta Gerwig als Regisseurin.
Das Porträt dieser vier so unterschiedlichen Schwestern im 19. Jahrhundert ist schon allein wegen der opulenten Bilder eine große Freude.
🎬 Come on Come on
Ich liebe die Filme von Mike Mills und habe mich unbändig gefreut, als ich von seinem neuen Film gelesen habe.
Ein stiller, unaufgeregter, schöner Film, der viel über Elternschaft aussagt.
Der New Yorker Radiojournalist Johnny arbeitet an einer Reportage, für die er Jugendliche in den gesamten USA zu ihrer Zukunft, ihren Träumen und Ängsten befragt. Doch nach einem Anruf seiner Schwester Viv muss er sich unerwartet um deren Sohn kümmern, den neunjährigen Jesse. Es ist das erste Mal, dass Johnny Verantwortung für ein Kind übernehmen muss. Und für den ebenso aufgeweckten wie sensiblen Jesse ist es das erste Mal, dass er längere Zeit von seiner Mutter getrennt ist. Kurzerhand nimmt Johnny seinen Neffen mit auf einen Roadtrip quer durch die USA …
🎬 Kajillionaire
Juhu – ein neuer Film von Miranda July!
Ein Coming-of-Age-Movie für Erwachsene.
Es ist eine seltsame Truppe, die man hier kennenlernt. Finstere Mienen, zu große Klamotten, Haare unberührt von Menschenhand stehen drei Personen an einer Bushaltestelle in Los Angeles, wie alle, die zu wenig Geld haben. Die Bushaltestelle allerdings ist Tarnung. Ziel ist die dahinterliegende Post, dort räumen sie, mit ausgeklügeltem Zeitplan, ein Postfach unauffällig aus. Die Beute: ein Kuscheltier und eine Krawatte.
🎬 Finsterworld
Den habe ich vor neun Jahren schon mal gesehen, als er frisch in die Kinos kam. Immer noch ein treffsicher gezeichnetes Sittengemälde Deutschlands.
Finsterworld zieht einen Querschnitt durch die deutsche Befindlichkeit, längs an allen Generationen entlang, weder repräsentativ noch exemplarisch, aber mit dem Gespür für den Sound des (Angela-Merkel-)Landes, der zwischen Absurdität und Sarkasmus pendelt, zwischen peinlicher Betulichkeit und allzu politisch korrektem Vergangensbewältigungszwang.
📖 Die Singuläre Frau (Katja Kullmann)
Mehrmals verschenkt und strenggenommen noch gar nicht zu Ende gelesen. Ebenfalls entdeckt bei einer Onlineveranstaltung der taz anstelle der ausgefallenen Leipziger Buchmesse.
Kullmann schreibt von ihrem Weg zur singulären Frau – also einem Zustand des nicht-in-Partnerschaft-seins, ohne dass das als Übergangsphase oder Mangel wahrgenommen wird. Gekonnt stellt sie den gesellschaftlichen Imperativ in Frage, dass eine Frau einen Mann haben muss (was ja ungerechterweise umgekehrt sehr viel weniger negativ konnotiert ist).
🎬 Frances Ha
In eleganten Schwarzweißbildern erzählt US-Regisseur Noah Baumbach mit Charme und Esprit die gewitzte Story einer nicht ganz unkomplizierten Frauenfreundschaft. Schauplatz ist vor allem New York City. Mit einem gefälligen Pop-Soundtrack besticht dieses so leichtfüßig und unbeschwert inszenierte cineastische Kleinod mit intelligenten Verweisen auf das Kino von Jim Jarmusch und Woody Allen. In der Titelrolle brilliert Greta Gerwig.
Mit 27 steht Tänzerin Frances ohne Job da, ohne Wohnung und ohne Freund. Aber das beschäftigt sie eher am Rande. Viel schlimmer ist, dass ihre beste Freundin Sophie sich in einen entsetzlichen Spießer verliebt hat und aus der gemeinsamen WG auszieht. Frances tingelt durch ihr Leben: zieht bei zwei netten Burschen ein und wieder aus, besucht ihre Eltern in Kalifornien, muss zum Geldverdienen erniedrigende Jobs annehmen, geht auf einen sinnlosen Trip nach Paris. Und ist doch stets davon überzeugt, dass das Beste noch auf sie wartet…
Eine chaotische, witzige Liebeserklärung an das Unvollkommene und Unentschiedene.
🎬 Ewige Jugend
Fred genießt seinen Ruhestand und weist selbst den Gesandten der Queen ab, der sich ein Geburtstagsständchen für Ihre Majestät wünscht. Mit seinem langjährigen Freund Mick weilt er in einem Luxus-Sanatorium in den Schweizer Alpen. Man plaudert entspannt über Prostata-Probleme, verflossene Liebschaften oder die Kinder, deren Ehe gerade in die Brüche ging. Während der betagte Musiker einen endgültigen Schlussstrich unter seine Karriere zog, plant sein Kumpel, ein berühmter Regisseur, in der abgeschiedenen Bergwelt ein letztes Werk, sein cineastisches Testament.
🎬 Brownian Movement
Sandra Hüller wieder.
Charlotte, eine deutsche Ärztin in Brüssel, mietet eine Wohnung, um sich mit wenig attraktiven Männern aus dem Kreise ihrer Patienten zum Sex zu treffen. Gleichzeitig führt sie ein inniges Ehe- und Familienleben. Als ihre Affären bekannt werden, verliert sie ihre Stelle als Ärztin, und ihre Ehe steht vor dem Aus.
🎬 Wie viel wiegt ihr Gebäude, Mr. Foster?
Ein Porträt des Architekten Norman Foster, der wiederum Schüler des von mir hochverehrten Multitalents Richard Buckminster Fuller war. Der Titel spielt auf ein Gespräch zwischen den beiden an, in dem Fuller der gängigen Praxis, Gebäude aus Unmengen Beton herzustellen, seine eigenen, grazilen Entwürfe entgegensetzt.
📖 Quality Land 2.0 (Marc-Uwe Kling)
Die gewohnt humorvolle Fortsetzung des ersten Bandes. Erschreckend ist eigentlich bloß, wie viel der Science-Fiction-Dystopie heute schon Realität ist.
🎬 Das schweigende Klassenzimmer
Der Film erzählt ein zutiefst bewegendes Kapitel aus dem Tagebuch des Kalten Krieges, basierend auf den persönlichen Erlebnissen von Gymnasiasten, die 1956 mit einer einfachen menschlichen Geste einen ganzen Staatsapparat gegen sich aufbrachten.
📖 Vom Leben getragen – für eine lebendige Bestattungskultur (Ajana Holz)
Das schwäbische Bestattungsinstitut „Barke“ hatte ich schon eine Weile im Blick – die Autorin hat es gegründet und hat damit in einer extrem männerdominierten Branche Neuland betreten. Ein Trauerfall in der Familie brachte mich dazu, mich näher mit Tod und Bestattung zu beschäftigen. Das Buch ist ein Plädoyer für eine menschlichere Bestattungskultur und liest sich gut – sowohl am Stück als auch als praktischer Ratgeber zu ganz konkreten Fragen.
📖 Couchsurfen (Arnon Grünberg)
Grünberg schreibt Reisereportagen, und geht dafür ganz nah ran. Ob couchsurfend in einer Gemeinschafts-Wohnsiedlung, als angeblicher Investor in Osteuropa, oder in verschiedenen Militärcamps. Die Analysen sind klug, witzig, haben manchmal aber auch enormes Fremdschämpotential – etwa wenn er sich brennend dafür interessiert, wo die amerikanischen Soldaten in Afghanistan denn so zum Vögeln hingehen in ihrem Camp.
🎬 Anker der Liebe
Im August gesehen – mein Film des Jahres. Insbesondere entzückend: Oona und Geraldine Chaplin als (echtes und gespieltes) Mutter-Tochter-Gespann.
»Ein kleines Wunderwerk – lustig, mitreißend, leicht und bedeutend zugleich, absolut glaubwürdig und vor allem eines: wirklich hinreißend! Einer der schönsten, ehrlichsten und überraschendsten Filme des Jahres.« (L.MAG)
Kat und Eva sind zwei freigeistige Lebenskünstlerinnen, die zusammen auf einem alten Hausboot wohnen und durch die überraschend idyllische und reizvolle Kanallandschaft von London schippern. Während Eva Tanzunterricht gibt, arbeitet Kat in einem Pub. Ergänzt wird das Duo bisweilen durch Evas verschrobene Hippie-Mutter Germaine sowie Kats besten Freund Roger, der in Barcelona lebt. Eva fehlt nur eins zum Glück: Sie will ein Kind. Ihre Freundin Kat sieht das anders. Sie fürchtet um das entspannte Leben, das die beiden führen können. Wozu Veränderung, wenn man alles hat? Als Roger für ein paar Tage bei den Frauen vorbeischaut, ist bald klar, dass ein potenzieller Samenspender parat steht. Auch die künftige Großmutter ist im Glück. Kat lenkt schließlich ein, und Eva wird schwanger. Doch damit ist die Geschichte noch lange nicht zu Ende.
📖 Chefinnen in bodenlangen Jeansröcken (Max Goldt, Martin Z. Schröder)
Gerade, als ich dachte, jetzt reicht es einstweilen mit Max-Goldt-Büchern, flog mir dieses Kleinod zu. Eine Reproduktion von vier kleinen Bänden, die aufwendigst typographisch gestaltet, mit Bleilettern gesetzt und zum Teil mit manuellen Druckerpressen zu Papier gebracht wurden. Diese liebevolle Gestaltung gibt den Goldt’schen Texten teils noch mal ganz neue, beglückende Akzente.
Auf https://www.druckerey.de/home.html gibt es ein wunderbares Video, wie eine solche handwerkliche Gestaltung entsteht.
📖 Omama (Lisa Eckhart)
Derb und rasant – wie man Eckhart kennt – erzählt sie vom Leben ihrer Großmutter. Wie es war, oder wie es gewesen sein könnte. Das letzte Drittel, in dem Eckhart selbst auftaucht, wirkt ein bisserl drangeklatscht, aber bis dahin ist’s ein großes Vergnügen.
🎬 Der gleiche Himmel
Ein Fernseh-Dreiteiler, der in den Siebziger-Jahren in der DDR spielt und verschiedenste Themen anschneidet: Sport-Doping, Republikflucht, homosexuelle Liebe – aber vor allem die Ausbildung von „Romeo-Agenten“, die darauf trainiert wurden, amouröse Beziehungen zu alleinstehenden West-Frauen in Schlüsselpositionen einzugehen, um auf diesem Weg geheime Informationen zu beschaffen.
🎬 Searching Eva
Eva, 25, in Berlin lebende Italienerin, führt ein öffentliches Leben mit allen Konsequenzen. Mit 14 Jahren und neuem Namen erklärte sie die Privatsphäre zu einem überholten Konzept. Schon ihren ersten Tagebucheintrag veröffentlichte sie online. Seitdem teilt sie ihr Leben bis in intimste Details mit Menschen aus aller Welt. Sie lebt vielfältige Identitäten: Model, Dichterin, Sexarbeiterin, Ex-Junkie, Feministin, anarchistischer Freigeist.
📖 Am Strand (Ian McEwan)
Wieder mal so ein Buch, dessen Titel ich irgendwo aufgeschnappt hatte, und wo ich Jahre später, als ich es schließlich kaufte, nicht mehr recht wusste, woher und warum. Die Freude am Lesen hat das aber nicht getrübt.
England in den 1960er Jahren. Ein frisch verheiratetes Paar auf Hochzeitsreise, der Abend vor der Hochzeitsnacht. Ein ganzes Buch über all die Blockaden, Ängste, all das Unausgesprochene, Unsagbare, das sich in diesen mit Erwartungen völlig überfrachteten Stunden auftürmt. Präzise beobachtet und wunderbar in Worte gefasst.
📖 Der Mann schläft (Sybille Berg)
Sybille Berg finde ich rundum großartig, aber dieses Buch nötigt einem was ab. Die Hauptfigur schleppt sich über weite Strecken mit kaum vorhandenem Lebensmut durch ihre Tage – das liest sich zäh. Aber dann ist da eben auch Bergs Wortwitz und ihre beglückenden Einlassungen über die Liebe und das Leben, die das Lesen schließlich doch wert sind.
„Die Welt ist leer und kalt, und die Liebe ein Marketinginstrument, um Waschmittel zu verkaufen“
„Ich hatte ihn gerne, auf eine bedingungslose Art, und vielleicht empfand er dasselbe für mich. (…) Ich war alt genug zu wissen, dass es Glück ist, einen zu treffen, den man so gernhat, dass er einen nie stört.“
📖 Deutschlandreise (Roger Willemsen)
Flog mir so zu. Nach den ersten Seiten dachte ich: „ob ich das jetzt weiterlese oder nicht, ist so völligstens egal“. Ich habe es dann nebens Klo gelegt und auch mal in die Badewanne mitgenommen. Dafür ist’s genau richtig, und das ist weit weniger abwertend gemeint, als es jetzt klingt.
🎸 Sigur Ros
Im Berliner Tempodrom. Endlich wieder mal ein Livekonzert, in echt. Juhu!
📖 Lila, Lila (Martin Suter)
Mit Suter als Urlaubslektüre macht man nix falsch. Solide Unterhaltung – wenngleich dieser Roman mir nicht annähernd so Gänsehaut gemacht hat wie etwa „Die Zeit, die Zeit“.
Einem jungen Mann fällt ein unveröffentlichtes Buchmanuskript zu – der Autor stellt sich als tot heraus. Um eine Frau zu beeindrucken, gibt er es als sein Werk aus und verstrickt sich in Folge in eine Lügengeschichte, aus der der Ausstieg täglich unmöglicher wird.
📖 Lvstprinzip (Theresa Lachner)
Wow, Buch des Jahres! Lachner, der Mensch hinter (nach Selbstauskunft) Deutschlands größtem Sexblog, hat mit Anfang dreißig ihre Autobiographie verfasst. Steil. Sie schafft es, fesselnd und mit großartigem Humor über ernste Themen wie victim blaming oder body shaming zu schreiben. Ich hatte über weite Strecken ein breites Grinsen im Gesicht und habe auch noch eine Menge gelernt.
Bonus: die Zitate über jedem Kapitel, die große Lust zum Weiterlesen machen. Sekundärliteratur gewissermaßen:
Opinions are like orgasms… mine matters most and I really don’t care if you have one. (Sylvia Plath)
📖 Lieb und teuer (Ilan Stephani)
Von da aus kann man nahtlos weiterflutschen zu Stephani. Sie schreibt nicht ganz so vergnüglich wie Lachner, der Tonfall einer Streitschrift ist eher anstrengend. Die Autorin stellt sich gegen allzu einfache Wahrheiten bezüglich Prostitution, und sie muss es wissen – sie hat es zwei Jahre lang selbst ausprobiert. Vielleicht ist auch das anstrengend an diesem Buch – und dafür kann die Autorin nichts – dass man beim Lesen kaum umhinkommt, die eigene Position zu diesem Tabuthema zu überdenken.
🎬 so damn easy going
Queerkinowoche in Görlitz, im schwedischen Originalton 😍
Die 18-Jährige Joana ist aufgrund finanzieller Schwierigkeiten gezwungen, ohne ihre ADHS-Medikamente auszukommen und versucht gleichzeitig, ihren depressiven Vater zu unterstützen. Joanas unkonventionelle Versuche Geld zu besorgen, verschärfen die Situation und die fehlenden Medikamente verursachen zusätzliches Durcheinander und Stress in ihrem Kopf. Ihre neue schlagfertige Klassenkameradin Audrey erweitert das Kopfchaos um ein Auf und Ab der Gefühle.
🎸 Nick & June
Noch ein Livekonzert – im Görlitzer Kulturzentrum Kühlhaus – in intimer Runde mit vielleicht zwei Dutzend Gästen 🧡
🎬 Naked
Eine sechsteilige arte-Doku über diverse Geschlechtsidentitäten. Die einzelnen Folgen haben verschiedene Schwerpunkte, etwa queere Identität bei Jugendlichen, alternative Familienmodelle oder Rollenbilder im Alter. Die teils sehr kontroversen Statements bleiben angenehm unkommentiert nebeneinander stehen und sind erfrischend ehrlich geschnitten – sei es das klingelnde Telefon im Hintergrund oder ein Mikrofon, das von oben ins Bild baumelt. Witzig, kurzweilig, horizonterweiternd!
📖 Identitti
Oh wow, noch ein Buch des Jahres. Nivedita studiert Postcolonial Studies in Düsseldorf und wird in einen Skandal verwickelt. Ihre Professorin – vermeintlich PoC – ist weiss! Vor lauter Verwicklungen, die daraus folgen, kommt man kaum zum Luftholen und setzt sich unweigerlich selbst mit den aufgeworfenen Fragen auseinander. Kann es – analog zu transgender – eigentlich auch trans-racial geben? Wer entscheidet, welcher Ethnie man zugehörig ist? Die Mischung aus Fiktion und echten Personen (denen wiederum fiktive Tweets in den Mund gelegt werden) lässt die Grenzen zwischen Buch und Wirklichkeit verschwimmen, so dass man alle paar Seiten verleitet ist, im Internet nachzuprüfen, was erfunden und was so tatsächlich passiert ist (Spoiler: eine Menge!)
📖 Ä (Max Goldt)
Eine Sammlung aller Goldt’schen Kolumnen aus zwei Jahren TITANIC. Aber, aber – bloß weil Goldt mein spiritueller Lehrer ist, muss ich ja nicht alle Bücher von ihm lesen, oder? Ich konnte trotzdem nicht widerstehen, als ich dieses hier in einem Antiquariat fand. Keine Sekunde bereut.
🎬 Akt
Der Film begleitet vier ganz unterschiedliche Menschen, die sich als Aktmodell zur Verfügung stellen. Erotisch wird’s dabei keine Sekunde, aber die verwinkelten Biografien der Vier sind sehr berührend eingefangen. Am besten gefiel mir der junge Mann, der erzählte, dass er eigentlich keine Minute stillsitzen könne, und daher das erzwungene Stillhalten sehr genieße, um seinen Gedanken nachzuhängen. Masterplan für 2023 also: Aktmodell werden!
🎬 rise up
Wie verändert man die Welt? Diese Frage stellt man am besten denen, die es bereits getan haben. Ob feministischer Kampf in Südamerika, der Kampf um Gerechtigkeit in der Bundesrepublik oder die ökonomische Emanzipation der afroamerikanischen US-Bürger. Fünf Menschen, die an überwältigenden gesellschaftlichen Umbrüchen beteiligt waren, erkämpfen sich Antworten. Sie zeigen, wie sich jede*r Einzelne konkret gegen die großen Ungerechtigkeiten unserer Zeit einsetzen kann. Ihre Beispiele bieten aber vor allem eines: Hoffnung!
🎬 Der lange Sommer der Theorie
Drei junge Frauen zwischen Selbstoptimierung und prekärer Arbeit. Ein fröhliches Diskurstheater mit (echten!) Soziologinnen, Historikerinnen, Kulturschaffenden und Theoretiker*innen.
🎬 Gestorben wird morgen
Eine Ruhestandsgemeinschaft in der Wüste Arizonas. Ausgewählte Bewohner*nnen teilen ihre Wahrheiten über den Prozess des Alterns, ihre Aufregung, Angst, Freude und ihren Schmerz. Und ihre Erfahrungen mit dem Leben in einer Privatstadt, in der es keine Kinderkrippen und Schulen gibt und überhaupt kaum jemanden unter 55 – denn so alt muss man mindestens sein, um ein Haus in Sun City erwerben zu dürfen.
Sie sind sich bewusst: Ihre Zeit wird knapp. Die meisten Sonnenstädter*innen ziehen daraus den Schluss, dass sie jeden Tag genießen wollen. Mit Haltung und Humor! Manche auch mit einer Obsession für Regeln. So wirft der Film auch die Frage auf, ob so ein Seniorenparadies tatsächlich einer Utopie so nahe kommt, wie es manche Bewohner meinen.
Ausblick 2023
Ohne das so bewusst zu planen, habe ich mir im Dezember wieder einen Schwung gebrauchter Bücher gegönnt. Das als kleine Vorschau auf unterschiedlichste Genres im neuen Jahr.