Welche Bücher und Filme haben mich im vergangenen Jahr beschäftigt und bewegt?
Schon in den Vorjahren habe ich es nicht immer geschafft, zu Filmen eigene Zusammenfassungen zu schreiben. Dieses Jahr versuche ich, das deutlicher kennzuzeichnen. An dieser Stelle ein unfassbar großer Dank an mein „Heimatkino“ – das Kommunale Kino in Esslingen. Die spielen nicht nur seit über vierzig Jahren ein großartiges Arthouse-Programm, das meinen Filmgeschmack sehr geprägt hat. Sie pflegen auch ein umfangreiches Film-Archiv, an dem ich mich gerne orientiere. Zum Dank bin ich kürzlich wieder in den Trägerverein eingestiegen, auch wenn ich den damit verbundenen Eintritts-Rabatt höchstens alle paar Jahre einmal in Anspruch nehme.
Ansonsten: die Corona-Zeit hat uns beschert, dass viele Filme viel schneller als bisher als Stream zur Verfügung stehen – in meiner Erfahrung wenige Monate statt bisher eher zwei Jahre nach Kinostart. Wenn ich den Film als Stream gesehen habe, verlinke ich die Quelle in der Überschrift, so dass du ihn bei Interesse ganz einfach selbst sehen kannst.
P.S. Meinen Vorsatz aus dem Vorjahr, einmal Aktmodell zu stehen, habe ich 2023 auch umgesetzt.
🎬 Alles ist eins. Ausser der 0.
Ein Film über die Anfänge des Chaos Computer Club und speziell dessen Vordenker Wau Holland. Herrlich nerdy; gleichzeitig wird deutlich, welches wichtige gesellschaftliche Korrektiv der CCC darstellt.
🎬 Das melancholische Mädchen
Eine herrlich durchgeknallte Gesellschaftssatire über… Depressionen. Merkt man aber kaum vor lauter Lachen.
🎬 Eine größere Welt
Verfilmung der wahren Geschichte von Corine Sombrun. Corine wird in die Mongolei geschickt, um ethnographische Tonaufnahmen zu sammeln. Als sie an einer schamanischen Séance teilnehmen darf, fällt sie selbst in Trance. Ihr wird eröffnet, dass sie eine Schamanin sei und nun lerne müsse, mit den Geistern umzugehen. Das Erlebte lässt ihr keine Ruhe und so fliegt sie erneut in die Mongolei und begibt sich auf eine spirituelle Reise, die ihr Leben und ihre westeuropäische Sichtweise für immer verändern wird. (Quelle: KoKi)
🎬 Tics – Mit Tourette nach Lappland
„Endlich ein Film, der das Tourette-Syndrom ernst nimmt, anstatt sich lustig zu machen“
Daniel, Marika und Leo wollen ihr Tourette erforschen. Der Regisseur begleitet die drei in seinem Dokumentarfilm auf ihrer Suche nach neuen Behandlungsformen und einem Ort, an dem sie einfach sie selbst sein dürfen.
🎬 früher oder später
Eine wunderbar skurrile Doku über ein bayrisches Dorf, in dem die Gründung einer veganen Lebensgemeinschaft einiges durcheinanderwirbelt. Pointiert geschnitten – etwa vom Schweineschlachten (bei den alteingesessenen Dorfbewohnern) zu einem Rote-Bete-Gemetzel (bei den Zugezogenen).
🎬 Gott existiert, ihr Name ist Petrunya
Ein mazedonischer Film, in dem eine gewöhnliche Frau mit Naivität und Witz patriarchale Privilegien infrage stellt.
🎬 Wie wollen wir lieben?
Wir haben die Liebe und den Sex befreit, alle können so lieben, leben und Sex haben, wie sie möchten. Und warum ist es dann immer noch so kompliziert? Mit dieser Frage beschäftigt sich der sehenswerte arte-Dreiteiler „Wie wollen wir lieben?“.
🎬 Die Burgis
Und noch eine Gemeinschafts-Doku, diesmal über eine Gründungsinitiative bei Köln. Am Ende jeder Folge wird der nächste Teil heftig angeteasert („Wird X ausziehen müssen?“), so dass ich nicht umhin kam, alle drei Folgen am Stück zu schauen.
📖 Gattin aus Holzabfällen (Max Goldt)
Wirklich, nur noch dieses eine Goldt-Buch, danach kaufe ich keins mehr! Weil – da kann ja auch nichts mehr kommen. Dieses Versprechen breche ich immer wieder, und bisher habe ich es nicht bereut.
Auch dieses Buch wieder ein absolutes Kleinod: auf jeder Seite ein Foto, zu dem Goldt sich eine kurze Geschichte ausdenkt. Herrlich schräg und absurd.
📖 Hüftkreisen mit Nancy (Stefan Schwarz)
Schwarz habe ich über seine Kolumnen im Magazin lieben gelernt. Auch als ganzes Buch: prima Unterhaltung für zwischendurch.
🎬 Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war
Auf dem Gelände der größten psychiatrischen Klinik Schleswig-Holsteins aufzuwachsen ist irgendwie – anders. Für Joachim, den jüngsten Sohn von Direktor Meyerhoff gehören die Patient*innen quasi zur Familie. Sie sind auch viel netter zu ihm als seine beiden älteren Brüder, die ihn in rasende Wutanfälle treiben. Seine Mutter sehnt sich Aquarelle malend nach italienischen Sommernächten statt norddeutschem Dauerregen, während der Vater heimlich, aber doch nicht diskret genug, seine eigenen Wege geht. (Quelle: KoKi)
🎬 Glück ist was für Weicheier
Den habe ich nicht zuletzt wegen der großartigen Sophie Rois geschaut – die taucht auch im nächsten Film gleich wieder auf.
Jessica ist kratzbürstig, dickköpig und oft unnahbar. „Neutrum“ ist ihr Spitzname in der Schule. Sie glaubt an die Gefährlichkeit bestimmter Zahlen und leidet unter einer Reihe von Zwangsstörungen wie zum Beispiel das ständige Hoch- und Runterziehen ihrer Strümpfe. Liebevoll kümmert sie sich um ihre ältere Schwester Sabrina, die an einer tödlichen Lungenkrankheit leidet und zuhause gepflegt wird. Die Mutter der Mädchen ist schon lange tot, der Vater, der sich neben seinem Bademeister-Job als Sterbebegleiter in einem Hospiz engagiert, heillos überfordert. Als Jessica liest, dass Sex im Mittelalter als probates Heilmittel galt, macht sie sich auf die Suche nach einem Lover für Sabrina und verliebt sich dabei selbst. (Quelle: KoKi)
🎬 L’état et moi
Nach „Weitermachen, Sanssouci“ (siehe Kultur-Buchhaltung 2021) ein weiterer schräger Film mit dem Duo infernale Sophie Rois und Sarah Ralfs. Mit Letzterer habe ich später dann auch noch Ich will mich nicht künstlich aufregen gesehen, der hatte dann aber doch etwas zu viel Kulturszene-Insiderhumor, als dass ich über größere Strecken Freude dran gehabt hätte.
🎬 Alcarràs – Die letzte Ernte
Seit 80 Jahren baut die Familie Solé in Alcàrras Pfirsiche an. In diesem Sommer versammelt sie sich zum letzten Mal zur gemeinsamen Ernte. Das Land hatte ihnen einst der Großgrundbesitzer Pinyol überlassen, als Dank für seine Rettung im Spanischen Bürgerkrieg. Doch der junge Pinyol will vom Handschlag seines Großvaters nichts mehr wissen. Er will das Land zurück, um eine Photovoltaik-Anlage darauf zu errichten. (Quelle: KoKi)
📖 Unsere Welt neu denken (Maja Göpel)
Die perfekte Begleitlektüre zur Frühlingsrebellion von extinction rebellion. Ein sehr straffer Abriss, wie wir in einer Welt landen konnten, die dem Klimakollaps dermaßen nahe steht. Streng genommen steht da nichts, was ich nicht schon wusste. Aber so präzise zusammengefasst und zugespitzt, dass man das Buch kaum aus der Hand legt und sich gleich damit in die nächste Straßenblockade werfen möchte.
📖 Hitze (Raven Leilani)
Laut Klappentext ein „Lieblingsbuch von Barack Obama“, aber naja, beim Lesen dann eher sperrig. Häufig landen ja Bücher auf meiner Leseliste, ohne dass ich später noch weiß, wie und warum sie da hingekommen sind. In diesem Fall erinnere ich mich allerdings an ein Interview in der Süddeutschen, in dem Gary Shteyngart erzählt, dass er seinen Studenten dieses Buch empfiehlt, weil es angenehm explizit aus der übrigen verklemmten US-Literatur heraussticht. Und ja – immerhin dieses Versprechen hat es gehalten.
🎬 Vamos a la Playa
Das tragikomische Roadmovie begleitet drei junge Deutsche auf ihrer äußeren und inneren Reise, wirft Fragen um jugendliche Befindlichkeiten, kulturelle Missverständnisse, Sex-Tourismus auf und lässt mehr und mehr die naiv-klischeehaften Projektionen der westlichen Tourist:innen mit der komplexen Realität wirtschaftlicher Ungleichheit auf der Insel kollidieren. (Quelle: KoKi)
📖 Normal people (Sally Rooney)
Mit Zadie Smiths „Swing Time“ bin ich nicht recht warm geworden. Aber hier habe ich stellenweise heftig mitgefühlt mit den zwei College-Außenseitern Conell und Marianne, die füreinander bestimmt scheinen, aber einander doch immer wieder um Haaresbreite verpassen. Sehr fesselnd und rührend.
📖 Vater unser (Angela Lehner)
Wow. Von einer Freundin in die Hand gedrückt bekommen, wollte ich es erst mal ob des Titels entschieden ablehnen, bekam aber versichert, es handle ganz und gar nicht vom Glauben. Tut es auch nicht, es handelt vielmehr mit schönstem österreichischem Schmäh von einer jungen Frau, die sich selbst in die Psychiatrie einweist, um ihrem psychisch kranken Bruder näher zu sein. Viel lustiger und fesselnder, als man das anhand dieses Themas erwarten könnte.
🎸 Max Prosa
Prosa in echt, quasi vor meiner Haustür! Ein magischer Abend voll handgemachter Poesie.
🎬 Asteroid City
In der Süddeutschen las ich, man könne, wenn man einen Film von Wes Anderson gesehen habe, nur schwer erklären, wovon er gehandelt habe. Das war gar nicht als Kritik gemeint, so ist es auch hier wieder, und es ist auch gar nicht schlimm. Weil man auch ohne klar nacherzählbare Handlung beseelt aus dem Kinosaal kommt.
🎬 Ein Haufen Liebe
Als das alte Ehepaar Philemon und Baucis nach einem langen erfüllten Leben stirbt, stirbt es in tiefer Liebe zueinander. So die Sage, die Anneliese, Ulla, Ruth und Esther, Frauen zwischen 71 und 90 Jahren, gerade gemeinsam mit ihrer Theatergruppe einstudieren. Doch was ist, wenn Liebes- und Lebensentwürfe unterschiedliche Wege genommen haben und am Ende eines langen Lebens nur die Hoffnung nach dieser Liebe bleibt? In einem Rückblick berichten die vier Frauen von einem ganzen Leben. Einem Leben aus verpassten Momenten, Seitensprüngen und einer unaufhörlichen Sehnsucht nach der großen Liebe.
📖 Niemand ist bei den Kälbern (Alina Herbing)
Alina Herbing erzählt in ihrem Debütroman vom Dorfleben in Mecklenburg-Vorpommern. Romantische Landlust-Idylle hat da keinen Platz. Die Euphorie der Nachwendejahre ist lange vorbei, der Alltag grau und mühsam. Die Ich-Erzählerin ist Mitte zwanzig und graust sich angesichts der Zukunftsperspektive an der Seite eines Mannes, der den bäuerlichen Betrieb des Vaters übernehmen und an Ort und Stelle bleiben wird. (Quelle: deutschlandfunkkultur.de)
Wurde übrigens auch verfilmt.
🎬 Der Bauer und der Bobo
Der steirische Bergbauer Christian Bachler zieht auf Facebook gegen den wortgewaltigen Falter-Chefredakteur Florian Klenk zu Felde. Dieser lobt ein Urteil, in dem ein Bauer für das gefährliche Verhalten seiner Kühe verurteilt wurde. Klenk sei ein „arroganter Oberbobo“ und ignoriere die Lage der Bauern. Bachler lädt Klenk zu einem Praktikum auf seinem Hof ein. Aus dem Streit wird eine Freundschaft.
📖 Die Zweisamkeit der Einzelgänger (Joachim Meyerhoff)
Wie „Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war“ (siehe weiter oben) eine weitere Episode aus den stark autobiographischen Erzählungen von Meyerhoff.
🎬 Was man von hier aus sehen kann
Was für ein herrlich durchgeknallter Film!
Ein Film, wie man ihn aus deutschen Landen selten sieht, mit einem Gespür für das Schräge, das Absurde, das völlig Entrückte, inszeniert trotzdem mit viel Gefühl und wunderbarer Leichtigkeit.
🎬 303
Ein Roadtrip von Berlin nach Portugal – witzigerweise findet auch Tamera darin Erwähnung. Zwei Menschen, die unterschiedlicher kaum sein könnten, brechen zu einer Reise auf, diskutieren, ob die Menschheit mehr von Kooperation oder Konkurrenz profitiert habe, und nehmen einen dabei ganz leichtfüßig auf einen philosophischen Rundumschlag mit.
🎸 Thelma Malar
Auf dem Reetzival – das hat Spaß gemacht. Mal wieder so ein Abend, wo ich denke: wow, vielleicht ist die irgendann mal ziemlich berühmt und ich kann sagen: „Ha! Die hab ich schon 2023 gesehen, also sie noch ganz unbekannt war“. Immerhin – ihre erste Platte hat sie schon produziert.
🎬 Irrlicht
Ein perfekt choreografierter Liebestanz, sexy Feuerwehrmänner in Jockstraps und ein Baum-Penis-Memory gegen den Flächenbrand: Der Film des portugiesischen Kultregisseurs João Pedro Rodrigues ist eine wunderbar wilde Mischung aus Musical, Folklore, Fantasy, Postcolonial Study und queerer Erweckungsgeschichte im Zeichen des Umweltschutzes.
📖 Diesseits des Van-Allen-Gürtels (Wolfgang Herrndorf)
Anlässlich Herrndorfs zehnten Todestages gönne ich mir eines der letzten ungelesenen Bücher von ihm, die ich noch rumliegen habe. Wieder sehr vergnüglich. Anfangs eine lose Sammlung von Kurzgeschichten, und plötzlich – Achtung Spoiler – beginnt er sie miteinander zu verweben. Da möchte man glatt noch mal von vorne anfangen und schauen, ob es noch mehr Verknüpfungen gab – vorher, bevor es einem zum ersten Mal aufgefallen ist.
🎬 Tove
»Eine komplexe Künstlerin und kreative Pionierin, die ein aufregendes Boheme-Leben zwischen Helsinki, Stockholm und Paris führte, überzeugte Pazifistin war und ganz selbstverständlich mit den Geschlechterrollen ihrer Zeit brach.« (Quelle: Salzgeber)
🎬 Citizenfour
Diese bald zehn Jahre alte Doku habe ich mit befreundeten IT-Nerds geschaut. Danach haben wir spontan eine kleine Cryptoparty gestartet und PGP-Schlüssel ausgetauscht, um einander künftig verschlüsselte Mails schicken zu können.
🎬 The Ordinaries
Paula wächst in einer Gesellschaft heran, die durchgängig von filmischen Kategorien geprägt und dabei streng hierarchisch organisiert ist. „Hauptfiguren“ haben die spannenden Geschichten, „Nebenfiguren“ dienen nur als Stichwortgeber, während die von allen verachteten „Outtakes“ am Rande der Gesellschaft leben. Nebenfigur Paula, Tochter einer Hauptfigur, will aufsteigen, ist ehrgeizig, Klassenbeste in „cliffhanger“ und panischem Schreien und kann auch schon Zeitlupe. Nur die Erzeugung jener wunderbaren Musik durch ihre Gefühle will ihr kurz vor der Abschlussprüfung einfach nicht gelingen. Sie beginnt, im Archiv Inspiration zu suchen, stößt auf ein Familiengeheimnis und wagt sich in die Welt der Outtakes!
📖 Wir nennen es Familie – Neue Ideen für ein Leben mit Kindern (Anne Waak)
Die Autorin schreibt sehr kurzweilig, persönlich und empowernd über Familienmodelle abseits der klassischen Kleinfamilie. Ein sehr inspirierendes und ermutigendes Buch, das den Jahresend-Bücherkauf (siehe unten) nicht unwesentlich beeinflusst hat.
📖 Kinderhaben (Heide Lutosch)
Ich habe noch kein Buch gelesen, das dermaßen ungeschminkt davon schreibt, was es heißt, Kinder zu haben. Und wie gnadenlos Männer und Frauen – trotz aller guten Vorsätze – wieder in traditionelle Rollenmuster zurückfallen, sobald sie Eltern werden. Das wird vermutlich niemanden davon abhalten, ein Kind zu bekommen, aber man tut es nach dieser Lektüre doch einen Tacken informierter.
🎬 Monobloc
Eine Doku über den mit Abstand meistverkauften Stuhl der Welt. Mir hat gefallen, wie der Regisseur verschiedene Lebensrealitäten gegenüberstellt: bräsige Berliner Bürger*innen, die das Verbot dieses „Billigstuhls“ fordern und Menschen in Afrika oder Indien, für die der Monobloc Teil von bescheidenem Wohlstand ist und die sich schlicht kein anderes Sitzmöbel leisten könnten. Auch die Kritik an Plastik als Rohmaterial kommt nicht zu kurz – ebenso aber die massiven Abholzungen, die nötig wären, um Milliarden von Stühlen aus Holz zu bauen.
📖 Hören Sie gut zu und wiederholen Sie!!! (Jón Gnarr)
Der isländische Komiker Gnarr ist Gründer der „Besten Partei“ und war vier Jahre Bürgermeister von Reykjavik. Das Buch handelt von seinen Erfahrungen aus dieser Zeit, ist literarisch nicht sonderlich elaboriert, aber doch nett zu lesen. Ich mochte insbesondere folgenden Absatz (leicht gekürzt von mir):
Homophobie wird mir immer ein Rätsel bleiben. Phobie kommt aus dem Griechischen und bedeutet „Angst“. Aber es geht nicht etwa um Leute, die in ihrer Jugend mal in eine Schwulenbar geraten sind, dort den Schrecken ihres Lebens abgekriegt haben und das nie verarbeiten konnten. Der überwiegende Teil der Homophobiker sind das, was man landläufig als Spießer bezeichnet. Homophobie ist keine Phobie, sondern Dummheit und Intoleranz. Was geht es mich an, ob mein Nachbar schwul ist oder nicht? Genau so wenig, ob er vielleicht Trachtenpüppchen sammelt.
Nachtrag: Nachdem ich kürzlich zum ersten Mal eine AfD-Veranstaltung besucht habe, ahne ich, dass es tatsächlich Menschen gibt, die Angst vor Homosexualität haben. Bitter.
📖 Ich komme mit (Angelika Waldis)
„Leben ist das Kräuseln am Rande des Spiegeleis“
Endlich mal wieder ein ersprießliches Vorlesebuch! Ein todkranker junger Mann und eine lebensmüde alte Frau planen, gemeinsam die letzte Reise anzutreten. Was wenig unterhaltsam klingt, liest sich tatsächlich sehr komisch. Wärmste Empfehlung!
🎬 Sisi & ich
Eine Sisi-Verfilmung mit Portishead im Soundtrack? Sandra Hüller in einer der Hauptrollen und Frauke Finsterwalder als Regisseurin… muss ich noch was sagen? Nein? Habe ich schon „Film des Jahres“ gesagt? Film des Jahres!
📖 Monde vor der Landung (Clemens J. Setz)
Dieser Wälzer ist mir im November noch so zugeflogen. Der Autor versetzt sich in die historische Figur Peter Bender, der vor 100 Jahren lebte und fest überzeugt war, dass wir nicht auf, sondern in der Erde leben. Setz greift immer wieder echte Begebenheiten und Zeitdokumente – etwa Fotos – auf und strickt einen fesselnden Roman daraus. Besonders begeistert haben mich immer wieder seine Sprachbilder: „Die Gebüsche prasseln vor Sperlingen“, „Unterdessen faltet sich das alte Jahrhundert, und ein frisches beginnt“, „Die Blätter fallen aus vollem Herzen“ und so weiter.
Gleichzeitig sind die Parallelen des damals beginnenden Nazi-Deutschlands mit dem aktuellen Erstarken rechter, demokratiefeindlicher Strukturen erschreckend.
🎬 Wir könnten genauso gut tot sein
Das ist im Grunde der Film zum Einstiegsprozess meiner Gemeinschaft. Es geht um klassische Fragen der Zugehörigkeit: was muss ich tun, um Teil einer Gemeinschaft zu werden? Was bin ich bereit zu geben, um es zu bleiben? Wo sehe ich meine Zugehörigkeit bedroht, und wo bin ich bereit, andere auszuschließen, um selbst bleiben zu können? Keine leichte Kost, und gleichzeitig sehr lustig als Spiegel unserer internen Strukturen.
🎬 Risiken & Nebenwirkungen
Kathrin braucht eine Spenderniere, aber ihr Mann hadert mit der Frage, ob er eine seiner Nieren spenden will. Ein Freund wäre sofort bereit, dessen Frau aber wiederum ist dagegen. Eine turbulente, scharfzüngige österreichische Komödie um eine ernste Frage: wäre ich bereit zu einer Lebend-Organspende?
🎬 Körper und Seele
Ein Schlachthaus in Budapest: Mária ist neu hier – und als Qualitätskontrolleurin wird sie nicht sonderlich nett empfangen, zumal sie autistisch ist und sich deswegen besonders stark daran hält, was in ihrem Handbuch steht. Fast alle Kollegen meiden Mária, aber immerhin mit dem Finanzchef Endre der halbseitig gelähmt ist, versteht sie sich. Die beiden bauen ein besonderes Verhältnis zueinander auf, das sogar noch viel außergewöhnlicher ist, als es zunächst den Anschein hat. Nachdem ein für die Rinderzüchtung vorgesehenes Präparat geklaut wird, das die Tierlibido steigert, werden alle Angestellten des Schlachthauses zu einem psychologischen Test verpflichtet. Das Ergebnis der Untersuchung belegt die spezielle Verbindung von Mária und Endre: Wie es aussieht, haben die zwei Kollegen jede Nacht beide denselben Traum. Sie träumen, dass sie Hirsche sind, die einander in einem verschneiten Wald treffen…
Stellenweise keine leichte Kost – wir haben uns immer wieder die Augen zugehalten (Triggerwarnung: Szenen aus dem Schlachthof; Suizidversuch). Gleichzeitig sehr berührend gefilmt und nicht umsonst mit Goldenem Bären und Europäischem Filmpreis ausgezeichnet sowie für einen Oscar nominiert.
Ausblick
Beim diesjährigen Jahresend-Bücherkauf bin ich ein wenig eskaliert. Langweilig wird’s mir 2024 also nicht: