Durch regelmäßiges Lüften lässt sich die Gefahr einer Covid-Infektion senken. Zu Beginn unserer Gemeinschaftstreffen wird daher meist besprochen, wie oft gelüftet werden soll, und wer dafür Verantwortung übernimmt. Die Häufigkeit und Dauer des Lüftens wird „nach Gefühl“ entschieden. Geht das auch präziser?
Was sagt die CO₂-Konzentration über die Virenlast in der Luft aus?
CO₂ (Kohlendioxid) atmen wir aus – ebenso wie eventuell vorhandene Viren. Daher steigt mit der Zeit der CO₂-Gehalt der Luft in geschlossenen Räumen, ebenso die potenzielle Virenkonzentration. Je mehr Menschen, je stärker die Atmung und je kleiner der Raum, desto schneller. Und daher kann man über die CO₂-Konzentration direkt ableiten, wann gelüftet werden sollte, um die Virenlast gering zu halten. Das ist praktisch, denn die CO₂-Konzentration ist ungleich einfacher zu messen als die Virenlast in der Luft.
Ikea: unaussprechlich günstig
Auf heise.de las ich von einem Bastelprojekt mit Vindriktning – einem Luftqualitätssensor von IKEA. Knapp zehn Euro soll das Gerät kosten – da kann man kaum was falsch machen, oder? Doch, durchaus. Vindriktning ist nämlich ein Feinstaubsensor, schlägt also an, wenn man zu viele Räucherstäbchen abgebrannt hat oder in der Küche was angebrannt ist. Die Feinstaubbelastung korreliert allerdings nicht mit einer über die Zeit steigenden Virenkonzentration – zur Corona-Abwehr ist das Gerät also ungeeignet. Schlimmer noch: dieser Artikel bemängelt, dass die Schwellwerte, wann die Ampelanzeige auf gelb oder rot springt, recht willkürlich und hoch gewählt seien. Lüften könnte also längst angebracht sein, obwohl das Gerät noch grün leuchtet.
Bei Pups Pieps?
Also habe ich weitergesucht und bin bei einem recht günstigen „Luftgütemonitor“ von Technoline gelandet. Er reklamiert ebenfalls, bei sinkender Luftqualität Alarm zu schlagen. Der Sensor reagiere auf „flüchtige organische Verbindungen“ – Ausdünstungen aller Art. Was das konkret bedeutet, erhellt ein Blick in die technischen Daten: „Flatus“ steht da als Beispiel. Ein Pupssensor! Sehr interessant, aber auch nicht das, was ich suche.
Mit der Cloud gegen Virenwolken? Gott bewahre!
Dann gibt es noch Geräte wie etwa von Netatmo, die nur im Zusammenhang mit der Hersteller-Cloud und einer Smartphone-App funktionieren. So was kam auf keinen Fall in Frage.
Also suche ich weiter – ab hier gezielt nur noch nach CO₂-Messgeräten. Der Anforderungskatalog wird klarer: eine grobe Einschätzung der CO₂-Konzentration soll auch von weitem (in einem Gruppenraum) ablesbar sein – etwa über farbige LEDs. Zusätzlich wünsche ich mir eine numerische Anzeige, um selbst bewerten zu können, wie hoch die Konzentration ist. Das Lüfte-Signal soll gut erkennbar, aber doch diskret sein. Ein akustischer Alarm bei Überschreiten einer Schwelle („bis zu 85 dB“ wirbt ein Hersteller) wird die Akzeptanz des Geräts wohl nicht gerade erhöhen, wenn es immer wieder in Stillemomente hineinpiepst.
Ich grabe mich durch die Erkenntnisse der stiftung warentest, wo mir die Geräte von TFA Dostmann auffallen – sie bekommen bei der Messgenauigkeit die besten Bewertungen. Die getesteten Geräte treffen nicht ganz meine Vorstellungen – schließlich werde ich aber doch bei diesem Hersteller fündig – mit dem CO2-Monitor AIRCO2NTROL COACH. Das Gerät piepst nicht, dafür verändert sich die Farbe der gesamten Displaybeleuchtung stufenlos von grün über gelb bis rot – einwandfrei auch aus der Ferne zu erkennen. Wer will, kann aber auch einen Schwellwert einstellen, bei dem die Displaybeleuchtung ohne Zwischenstufen von „aus“ auf „rot“ umspringt.
Ein bisschen Elektroschrottvermeidung: löblich
Was mir bei diesem und einigen anderen Geräten gut gefällt: die Kästchen kommen nicht mit fest verbautem Akku oder dem hundertsten proprietären Netzteil, sondern lassen sich per USB mit Strom versorgen. Meist liegt nicht mal ein USB-Netzteil bei – es wird wohl (zu Recht!) darauf vertraut, dass man so was noch in der Schublade liegen hat. Und wer das Gerät doch flexibel von Raum zu Raum tragen will, nutzt halt eine Powerbank. Das ist eine echt sinnvolle Verringerung von (künftigem) Elektroschrott!
Erste Erfahrungen und Orientierungswerte
Auf ebay habe ich Glück und erwische das Gerät „nur einmal ausgepackt“ sehr günstig. In den folgenden Tagen mache ich mich mit meinem neuen Spielzeug stellenweise unbeliebt, denn um im grünen Bereich zu bleiben, muss man, selbst wenn man nur zu zweit ist, ganz schön häufig lüften. Bei Außentemperaturen unter Null… nun ja.
Zur Orientierung: Frische Außenluft hat um 400 ppm (parts per million) CO₂, in Innenräumen sinkt der Wert nur bei sehr ausgiebigem Lüften unter 600 ppm. Die Empfehlungen, wann gelüftet werden soll, variieren: manche sprechen von 800 ppm (sehr ambitioniert), spätestens ab 1400 ppm wird es aber höchste Zeit. Als ich das Gerät zum ersten Mal einstecke, zeigt es prompt 1500 ppm an, ohne dass wir einen nennenswerten Lüfte-Leidensdruck verspürt hätten. In einer kleinen Wohnzimmerrunde ein paar Tage später klettert der Wert sogar über 2200 ppm. In solchen Momenten bietet die stufenlos wechselnde Displayfarbe pragmatische Orientierung: man muss nicht grasgrün anstreben, wenn ausgiebiges Lüften gerade so gar nicht passt, sondern kann sich auch mit dem Vermeiden von tiefrot zufriedengeben.
erwünschte Lüft-Nebenwirkungen
Interessant war eine Beobachtung an einem Abend gegen 22 Uhr: da machte sich Müdigkeit breit, ist ja auch schon spät, und ja – man könnte ja noch ein letztes Mal lüften. Sobald das Kästchen allerdings grün zeigte, war plötzlich noch mal eine Menge Wachheit im Raum – eine zu hohe CO₂-Konzentration macht halt auch schläfrig und unkonzentriert. So kann die CO₂-Messung also auch abseits von Covid nützlich sein, um Produktivität, Konzentration und Kreativität aufrechtzuerhalten. Schon im vergangenen Jahr hatten wir bei einem Gemeinschafts-Plenum gewitzelt: das häufige Lüften (oft begleitet von ein paar Minuten der Stille) könnte man eigentlich beibehalten. Ja, sieht nach einer guten Idee aus!
Echter Mehrwert oder nur das nächste Technik-Spielzeug?
Spannend fand ich schon vor dem Kauf die Frage, ob ein solches Gerät tatsächlich zur Entspannung im Raum beitragen würde. Hilft es Menschen, die sich ernsthaft Sorge um eine Ansteckung machen? Entspannen sie sich, wenn die geringe Gefahr messbar, sichtbar wird? Oder führt eine Anzeige, die schon wieder leicht ins grün-gelbliche changiert zu mehr Stress als zuvor ohne diese Information? Diese Erkenntnis muss ich zunächst schuldig bleiben, denn dann müsste ich diesen Text noch Wochen zurückhalten, und wenn er schließlich erschiene, würdest du dich fragen, warum zur Hölle ich CO₂-Messgeräte im Frühjahr teste, wenn das Schlimmste vielleicht längst vorbei ist. Lieber reiche ich in Kürze ein Update nach.
Wer tagein, tagaus alleine im selben Büroraum sitzt, wird den nötigen Lüfte-Rhythmus wohl bald raushaben und das Gerät nach ein paar Wochen kaum mehr brauchen. Interessanter ist es bei ständig wechselnden Bedingungen: unterschiedlich große Gruppen in unterschiedlich großen Räumen bei unterschiedlich „aktiven“ Tätigkeiten. Für Seminarleitende etwa kann ich mir vorstellen, dass eine solche Orientierung auch langfristig hilfreich ist.
Ergänzungen
Nachtrag: die stiftung warentest hat im Dezember 2021 weitere CO₂ -Messgeräte getestet und liefert noch mal einen ausführlichen Grundlagenartikel zum Thema. Die neu hinzugekommenen Geräte sind aber fast allesamt teurer als der oben genannte „Coach“ (ca. 80€).
Nachtrag2: auf dem Chaos Communication Congress wurden gerade Zero Covid Spaces als Beitrag zum Ende der Pandemie diskutiert (gesamte ungeschnittene Aufzeichnung hier, später hier). Auch hier könnte CO₂-Messung ein sinnvoller Teil des Schutzkonzeptes sein.
Zu Beginn einer einwöchigen Gemeinschafts-Intensivzeit schien es zunächst so, als ob das Gerät nicht die erhoffte Beruhigung brächte, sondern vielmehr die gesellschaftliche Spaltung noch weiter befördere. Manche waren sehr neugierig und dankbar für den angezeigten Orientierungswert, andere fühlten sich gestört, bevormundet und forderten eine Abschaltung des Messgeräts. Eine Aufstellung etwas außerhalb der Haupt-Sichtachse brachte Beruhigung.
Interessant fand ich den Kommentar: „Stell‘ das weg – da müssten wir ja viel mehr lüften!“. Da sind die Kausalzusammenhänge durcheinandergeraten – die Luft wird ja nicht davon schlechter, dass man ihre Qualität misst.
Nach einer Weile Eingewöhnung durfte das Kästchen aber doch bleiben – wir mussten allerdings auch erkennen, dass es unmöglich war, unter 1000 ppm zu bleiben (was – das als Nachtrag – der Richtwert für Arbeitsplätze ist). Das Display war fast durchgehend rot und ging nur während Lüftungspausen für wenige Minuten ins Gelbe zurück. Bei Bewegungsübungen stieg der CO₂-Wert sogar bei weit geöffneten Türen an.
Treffen in größeren Gruppen (bei diesen Außentemperaturen) bleiben also potenzielle Spreader-Events. Dass diesmal nichts passiert ist, haben wir wohl auch einer inzwischen recht hohen Impf- bzw. Durchseuchungsquote zu verdanken.
Neugierig geworden habe ich mir das Messgerät ausgeliehen. Ich wollte erstmal gucken, wie mein nächtliches Lüftungsmanagement im Winter besteht – atme ich eigentlich genug Sauerstoff. Es war okay, aber grenzwertig, seitdem lüfte ich konsequenter und etwas länger.
Und dann habe ich es aber in verschiedenen Gruppensituationen mitgenommen – und siehe da – 14 Menschen in einem Raum, holla die Waldfee, wie schnell da das Messgerät auf Rot geht. Vielleicht auch ein Grund für Konflikte? Der Körper gerät in Stress und dann….. auf jeden Fall haben wir einfach jedes Mal Pause gemacht und gelüftet und ich bin dankbar für die Erfahrung. Und wie toll wieder Gemeinschaft ist, ich wäre nie auf die Idee gekommen, so ein Ding auszuprobieren. Danke L.