…oder: Einmal (Jena-)Paradies und zurück.
Ein Städtetrip nach Jena, und wieder mal der Vorsatz, nicht darüber zu schreiben. Oder vielmehr: mich von der inneren Pflicht zu befreien, darüber schreiben zu müssen. Irgendwann ist’s dann aber doch so schön, dass ich denke: Wer von Bensheim schreibt, sollte von Jena nicht schweigen. Also los.
Der Text ist mit einem lauwarmen Wortspiel überschrieben, das mir seit Jahren im Kopf herumgeistert. Vielleicht lässt es mich los, wenn ich es hiermit in die Öffentlichkeit entlassen habe. Gleichzeitig scheine ich in Jena mit lauwarmen Wortspielen in guter Gesellschaft zu sein:
Den Urlaub beginne ich konsequent mit blog-untauglichem Rumschlunzen in meiner Unterkunft. Obwohl die eher eine Enttäuschung ist: neben anderen Unerfreulichkeiten hängen von der Decke nur grelle, nackte Glühbirnen. Immerhin das ist schnell gehackt: bei Crobag waren gerade Lampenschirme im Angebot.
Zur Entscheidung, diesen Text doch zu schreiben, trägt nicht zuletzt meine Reiselektüre bei: Arbeit am Text, mit einem Essay der hochgeschätzten Kathrin Passig, laut dem ein Vorteil des Bloggens sei, dass man Texte einfach so raushauen kann, weil man weiß, dass man sie später noch beliebig oft überarbeiten kann. Passend zitiert sie:
„Accept that everything is a draft. It helps to get things done.“
Am Abend besuche ich ein Konzert des Ensemble Ambidexter. Eine Offenbarung – die Musik ebenso wie die Location. Musik irgendwo zwischen Jazz und klassischer Musik, mit den ersten Tönen steigen mir die Tränen in die Augen, weil es so schön ist, und ich muss an mich halten, um vor lauter Ergriffenheit nicht nach der Hand der mir unbekannten Sitznachbarin zu greifen.
Samstag auf den Aussichtsturm am Landgrafen. Herrlich, so auf die Welt hinunterzuschauen! Bestimmt eine Stunde habe ich die Plattform für mich allein, sitze und starre, laufe in alle Ecken, um zwischendurch auch da zu starren, bis mir ganz wohl ums Herz ist – abgesehen von der Sorge, dass der Turmwärter unten sich Sorgen um mich machen könnte.
Zurück in den Niederungen der Stadt ist mir nach Café-Herumsitzerei. Übers Holz & Hygge hätte ich hier gerne Lobendes geschrieben, aber die haben geschlossene Gesellschaft. Pfff. Also nehme ich stattdessen im Brandmarken Platz und beginne nach einigen Minuten, im Kopf einen Rant zu verfassen, weil niemand kommt, um meine Bestellung aufzunehmen. Dann besinne ich mich eines Besseren, weil ich die heiße Schokolade ja eher in Kauf genommen hätte, aber eigentlich primär hier bin, um im Warmen zu sitzen und Löcher in die Luft (bzw. hier: Fußgängerzone) zu starren. Wenn ich das hier gratis tun kann – um so besser. Es vergeht dann wirklich noch viel Zeit, sicher eine halbe Stunde, bis doch noch Personal vorbeischneit, sich sehr entschuldigt und mir kurz darauf eine wirklich großartige heiße Schokolade serviert. Ab da flutscht das noch viel besser mit den Löchern und der Fußgängerzone.
Um kurz vor sechs werde ich freundlich hinauskomplimentiert – man schließe in wenigen Minuten, und ich ziehe weiter ins Jen, wo es japanische Ramen-Suppe gibt. Auch die ist köstlich; schade nur, dass gerade auch Rummel ist in Jena und man von den Fahrgeschäften penetrant mit Bumsmusik beschallt wird. Aber hey! Jena – die Stadt, die nie schläft! Echt was los hier.
Dann weiter zu einem Abend mit Sybille Berg und Martin Sonneborn. Am Eingang wird mir von der Security meine Plastik-Trinkflasche abgenommen; mein Victorinox-Multitool darf ich unbehelligt mit nach drinnen nehmen. Sehr konsequent! Drinnen sammelt die Partei DIE PARTEI Unterschriften, um an der Landtagswahl teilnehmen zu können und (Zitat Sonneborn) „die Macht zu übernehmen, bevor andere es tun“.
Berg und Sonneborn liefern dann eine angenehm surrealistische Performance ab: Sonneborn liest aus seinem Buch und zeigt zwischendurch Interviews und Reden aus dem EU-Parlament von sich. Berg liest aus ihrem neuesten Buch RCE, während im Hintergrund stumm Videos laufen, die sich schwer in Worte fassen lassen, aber zusammen mit dem gesprochenen Text ein interessantes Gesamtkunstwerk ergeben. Thematisch geht es beiden im Weitesten um Weltrettung, und das passt ja gut hier ins Blog.
Sonntag frühstücke ich im Café Stilbruch und ziehe dann weiter ins Rathaus, wo die Akademist*innen der Dualen Orchesterakademie Thüringen aufspielen. Das ist sehr nett – es ist einfach noch mal was anderes, Klassiknachwuchs zuzuhören und zu -schauen. Besonders die zwei Herren an Marimbaphon und Vibraphon beeindrucken mich, wie sie ihre Instrumente mit je vier Klöppeln bearbeiten.
Überhaupt – so stelle ich mir meinen Alltag vor, lebte ich in Jena: dreimal die Woche in Konzerte und Lesungen. Herrlich! (So machen die Jenaer*innen das doch, oder? Schöne Projektion mal wieder!)
Am Nachmittag radle ich noch nach Lobeda, dort spielen Tuba Libre. Fast zwanzig Musiker*innen aus Weimar, die sich „die Balkanisierung der deutschen Mittelgebirge auf die Fahnen geschrieben“ haben. Fetzt! Neben Balkan-Pop spielen sie zwischendurch aber auch Kraftwerks „Model“ oder „Let’s do the timewarp again“, teils sogar mit akrobatischen Einlagen. Großer Spaß!
Weil das Wetter der vergangenen Tage nicht so richtig zum Draußensein eingeladen hatte, nutze ich den letzten Abend, um mich noch ein bisschen im Grünen rumzutreiben und Weitsicht zu genießen.
So richtig fertig fühlt sich das hier noch nicht an, ich könnte gut noch ein paar Tage hierbleiben. Und wenn es nicht noch so viele andere schöne Städte zu entdecken gäbe, verspräche ich sofort: ich komme wieder!