Fett, Zucker, Bauchweh: das Konzept Urlaub.

Immer wieder hadere ich mit dem „Konzept Urlaub“. Wer eine Arbeit hat, die sich nicht wie Arbeit anfühlt, der braucht auch keinen Urlaub – so möchte ich glauben. Dieses Jahr versuche ich es trotzdem mal wieder – weil A. so wahnsinnig gerne nach Rumänien reist. Wir wollen ausprobieren, ob sich ein winzigkleines bisschen ihrer Begeisterung auf mich übertragen lässt.

Am Samstagabend haben wir Aufenthalt in Frankfurt/Oder. Die Wartezeit bis zur Abfahrt des Nachtzugs überbrücken wir mit Veggieburger und Eis (Geschmacksrichtung „Marshmallow“ und „Saure Apfelringe“ – nomnommm). Urlaub ist ja eine Zeit, in der man sich bevorzugt solche unvernünftigen Sachen gönnt, an denen man kurz Freude hat, die jedoch anschließend lange schwer im Magen liegen. So entsteht für Urlaubs-Essen, aber auch fürs Urlauben allgemein die griffige Formel „Fett, Zucker, Bauchweh!“. Der Satz (den man sich mit einem fröhlichen „Oh ja!“ am Ende denken muss) wird uns durch die kommenden zwei Wochen begleiten.

Wir verbringen eine erste Nacht im Schlafwagen nach Budapest und erkunden tags darauf die Stadt. Ich fremdle sehr: wahnsinnig viel ist auf Touristen-Zerstreuung ausgerichtet. Also versuchen wir, uns abseits der Touristenmassen zu bewegen und erkennen doch – selbst Touristen – die Ironie darin. Dabei dämmert mir allmählich wieder, dass ein Wert des Verreisens im Kennenlernen anderer Kulturen liegen kann. Im Idealfall wirkt Reisen vorbeugend gegen Stereotype, Vorurteile und Rassismus – wenn man sich denn wirklich auf das Reiseziel einlässt. Touristenbelustigung wie die allgegenwärtigen „Hop on Hop off“-Bustouren mit automatisch abgespielten Hinweisen auf Sehenswürdigkeiten können das aber wohl kaum leisten. Paradox: authentischer Kontakt zu regionaler Kultur ist wohl in wenigen Orten so schwer wie in solchen Touristenhochburgen.

Budapest bei Nacht

Nach einer Nacht in Budapest betreten wir erneut einen Nachtzug. In unserem Sechser-Schlafwagenabteil finden wir ein älteres Paar vor, das bereits vier der Sitze belegt hat. Den dritten Sitz belegt Gepäck, das nicht unter den Sitz passt, und den vierten ein Bub – ihr Enkel, wie wir später erfahren werden. Der sei noch unter acht, erklären sie uns, und brauche daher keine Fahrkarte (aber Platz braucht er halt doch). Abgesehen von uns haben noch zwei weitere Backpacker Tickets für dieses Abteil – wir werden die Nacht also zu siebt auf engstem Raum verbringen. Im ersten Moment kocht Wut in mir hoch, aber irgendwie schaffen wir es dann doch, uns alle in das Abteil zu falten. Wir kommen ins Gespräch, und die beiden Alten malen mit Hingabe eine Landkarte für uns, um zu zeigen, wohin sie reisen wollen. Er erkundigt sich dann noch bei uns vieren, ob es für uns der erste Besuch in Rumänien sei, und setzt dann an zu einem Wehklagen, bei dem ich nur das Wort „Misere“ verstehe. Das Land sei in solch elendem Zustand, klagt er, und wenn dies unser erster Eindruck sei, wollten wir bestimmt nie wiederkommen.

Später liege ich knapp unterm Dach auf meiner Pritsche, hadere mit dem zu kurzen Bett, der unerträglichen Hitze und der unruhigen, viel zu kurzen Nacht, die uns bevorsteht. „Warum tut man sich das an?“ – frage ich mich wieder. Wofür soll dieses verdammte Verreisen gut sein? Dabei muss ich mich daran erinnern, wie ich bis vor wenigen Jahren (shame on me) nicht in der Lage war, die neuen Bundesländer auf der Landkarte zuzuordnen. Erst dadurch, dass ich sie bereist habe und dort seit ein paar Jahren auch lebe, lichtet sich dieser Nebel allmählich. Ebenso ist es hier. Während A. noch scherzt, sie verstehe gar nicht, wie sie mit jemandem zusammensein könne, der Budapest und Bukarest nicht auseinanderhalten kann (shame on me, again), ahne ich, dass sich auch dieser Nebel während der Reise lichten wird.

Kurz nach der Abfahrt bekommen wir noch eine Lektion in Alltagsrassismus: eine Passagierin hat für die elfstündige Zugfahrt für sich und ihr Kind kein Trinkwasser eingepackt. Sie hatte darauf vertraut, dass sie im Zug welches kaufen könne. Als sie erfährt, dass dem nicht so ist, geben andere Fahrgäste etwas von ihrem Wasser ab, während sie im Gang schimpft, das seien ja „Zustände wie in Afrika“. So schert man einen ganzen Kontinent über einen Kamm und tut einer Menge Menschen Unrecht.

Nachtzug, kurz vor der Ankunft am nächsten Morgen

Am frühen Morgen kommen wir in Sibiu (Rumänien) an und ich überlege sofort, wie sich in Worte fassen lässt, was ich sehe. Was macht es nun aus, dieses Rumänien? Ich sehe protzige, aber doch billig wirkende Häuser, Straßenschilder, die Pferdefuhrwerken die Durchfahrt verwehren, und windschiefe, abenteuerlich mit Kabel umwickelte Telefonmasten. Es scheint naheliegend, das Land überheblich anhand dieser ersten Eindrücke zu charakterisieren, aber das ist mir zu billig.

Für die folgenden Tage haben wir einen Mietwagen gebucht. Kurz hatten wir überlegt, mit A.s Auto anzureisen, um vor Ort mobil zu sein – verwarfen die Idee dann aber aus Umweltschutzgründen. Der Mitarbeiter der Autovermietung empfängt uns in einem schmucklosen Büro mit der ominösen Fassaden-Aufschrift „Magazin Suplemente – Elite Generation“ und ist supernett: „Kein Problem, wenn ihr das Auto eine Stunde später zurückbringt – Hauptsache, ihr kommt sicher zurück.“ Lustigerweise bekommen wir exakt das selbe Automodell, wie A. es fährt, in exakt der selben Farbe. So fühlen wir uns sofort zu Hause und haben der Umwelt trotzdem 3000 Kilometer Fahrt erspart.

Unaussprechliche Straßen, freilaufende Bären und Schnaps aus großen Gläsern: lese hier, wie’s weitergeht beim Rumänienabenteuer.

4 Antworten auf „Fett, Zucker, Bauchweh: das Konzept Urlaub.“

  1. Kann ich Deinen Blog abonnieren?
    Für Fragen wie diese leiste ich mir einen IT-Fachmann………
    Alles Liebe

  2. Urlaub kommt übrigens etymologisch von dem Wort Erlaubnis, weil man die Erlaubnis hat der Arbeitsstelle fern zu bleiben.
    Das trifft in den allermeisten Fällen auf uns nicht zu, weil wir entweder selbständig sind und uns selbst ja keine Erlaubnis geben müssen oder unseren Urlaub selbst festlegen, auch wenn wir angestellt sind.
    Daher versuche ich das Wort Ferien in meinem Sprachgebrauch zu etablieren. Das von Feiertagen kommt, von Tagen, die man feiern sollte, weil sie heilig sind, allerdings muss man dazu nicht wegfahren.

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