XR – auf gut deutsch die „Rebellion gegen das Aussterben“ – ist eine Bewegung, die mit öffentlichkeitswirksamen Aktionen auf die drohenden Auswirkungen der Klimakrise hinweist. Auch dieses Jahr habe ich an der rebellion wave – der Rebellionswelle im Oktober – teilgenommen.
Disclaimer: Wenn du mit extinction rebellion nicht vertraut bist, kann manches im folgenden Text verwirrend oder irritierend wirken. Um das zu verhindern, hätte ich einen ausführlichen Absatz zu den Zielen, Methoden und Forderungen von XR, deren Vokabular sowie meiner persönlichen Motivation voranstellen müssen. Ich hätte einen weiteren langen Absatz über die Klimakatastrophe, die bereits in vollem Gange ist, schreiben müssen. Um den Text überschaubar zu halten, habe ich darauf verzichtet und nehme in Kauf, dass er sich an manchen Stellen nur „Eingeweihten“ erschließt.
Meinen ersten Kontakt zu XR hatte ich im April 2019. Damals habe ich an einem eintägigen Aktionstraining teilgenommen. Dabei lernt man die Grundsätze der Bewegung kennen, wird über mögliche rechtliche Konsequenzen der Teilnahme an Aktionen belehrt und probiert ganz praktisch aus, wie während einer Aktion Entscheidungen getroffen werden und wie man die eigene Sicherheit gewährleistet. So vorbereitet habe ich knapp zwei Wochen später zum ersten Mal an einer Straßenblockade in Berlin teilgenommen.
In den darauffolgenden Monaten habe ich mit Freunden in meiner Stadt Infoabende organisiert und wir haben gemeinsam bewegt, was die Botschaft von XR ganz konkret für uns bedeutet, also welche möglichen Handlungsänderungen wir daraus ableiten. Wir haben eine Ortsgruppe gegründet, ein Aktionstraining organisiert und sind dann im Oktober 2019 gemeinsam zur zweiten rebellion wave nach Berlin gefahren.
In meiner Erinnerung bin ich damals mit gemischten Gefühlen zurückgekommen. Es gab zwar einen losen Verbund von Menschen aus meiner Stadt, die an den Aktionen teilgenommen haben, aber die Vorstellungen vom persönlichen Aktionslevel waren recht unterschiedlich und unkonkret. Zudem war es für die meisten ein „Tagesausflug“, während ich mir vor Ort eine Unterkunft organisiert habe, um mehrere Tage vor Ort sein zu können. Derart schwammig aufgestellt kamen wir nicht an die wirklich spannenden Informationen ran und ich irrlichterte so ein bisschen durch die Stadt, ohne wirklich meinen Platz zu finden.
Für die aktuelle rebellion wave hatte ich große Hoffnung, dass das besser klappen würde. Da sich auch diesmal keine schlagkräftige Bezugsgruppe aus meiner Stadt formieren wollte, habe ich zum nächstgrößeren Regionalverband Kontakt aufgenommen und mich dort angeboten.
Die Nachrichten aus den ersten Stunden (ich bin erst zum zweiten Tag angereist) waren beunruhigend: auf den offiziellen Kanälen von XR war zu lesen, dass Blockaden ziemlich zügig mit Schlagstöcken und Pfefferspray aufgelöst wurden – bei den vergangenen Blockaden hatte ich nichts dergleichen erlebt. Immerhin setzt XR explizit auf friedliche, gewaltfreie Aktionen. Andererseits hatten wir uns schon vor einem Jahr gefragt, ob XR nicht „zu brav“ ist. Vielleicht waren die Aktivisten dieses Jahr entschlossener und die Polizei hatte entsprechend geantwortet?
Tags darauf war ich dann bei einer Aktion dabei – der Besetzung eines Lobbyverbandes. Die mir zugedachte Rolle konnte ich leider nicht ausführen, weil die Polizei bereits vor uns vor Ort war und das nötige Material sofort konfisziert wurde. Erfolgreich war dagegen die Besetzung des Büros, und ich habe Hochachtung vor den Aktivisten, die sich in diese „Höhle des Löwen“ begeben haben. Die parallel angeregten Gespräche mit CDU/SPD kamen nicht zustande, so dass die Aktion insgesamt ruhig verlief: wir waren keine ernsthafte Störung, und so ließ uns die Polizei einfach in Ruhe. Der spontane Versuch, eine angrenzende, wesentlich belebtere Straße zu blockieren, wurde innerhalb von Sekunden vereitelt – O-Ton eines Polizisten, der uns von der Straße trug: „Seid ihr bescheuert, oder was!“
Nach wie vor auf der Suche nach meinem Platz innerhalb der Bewegung freute ich mich sehr, dass es dieses Jahr zum ersten Mal einen Informationskanal gab, wo kurzfristige Hilfsanfragen gepostet wurden. Vielleicht könnte ich „hinter den Kulissen“ wirksam sein? So meldete ich mich für eine Nachtschicht an der durchgehend besetzten Mahnwache – kam mir dort aber auch eher überflüssig vor. Weitere Angebote für die Unterstützung bei Transporten wurden nicht beantwortet.
Stattdessen fuhr ich am Folgetag bei den Rebel Riders mit – einer angemeldeten Fahrraddemo quer durch die Stadt, begleitet durch ein üppiges Polizeiaufgebot. Wenig aufregend also – die stressigsten Momente waren die, wo Autofahrer nicht einsehen wollten, dass die Straße gesperrt ist. Einer wedelte mit einem Dienstausweis (parlamentarischer Fahrdienst?) und blitzte bei unserer Polizeibegleitung trotzdem ab. Ein anderer versuchte partout mit dem Auto in unseren Demonstrationszug einzuscheren, bis er von einem Polizisten rüde zurechtgewiesen wurde (O-Ton: „Verschwinde! Ick gloob, meen Hamster bohnert!“). In den Momenten bekam ich Angst – nicht, weil ich mich real bedroht fühlte, wir waren ja durch die Polizei bestens beschützt. Aber die Anspruchshaltung à la „Freie Fahrt für freie Bürger“ und die spürbare Aggression waren extrem unangenehm. Und ich musste mich mal wieder fragen, was wir mit den Aktionen bewirken – mit einzelnen Passanten kamen sicher Gespräche zustande, aber für viele waren wir einfach Spinner, Hippies, ein Ärgernis. Das gaben Passanten immer wieder durch ausgestreckte Mittelfinger und Beschimpfungen zum Ausdruck. Eine Passantin hörte ich im Vorbeigehen sagen: „Wenn wa keen CO₂ mehr hab’n, wachsn ooch keene Pflanzn mehr“. Ich sach mal vorsichtig: da ist noch viel Aufklärungsarbeit zu leisten.
Die Fahrraddemo mündete in die Blockade einer Brücke, die nach meiner Beobachtung ziemlich fair geräumt wurde. Aktivisten, die die Straße besetzt hielten, wurden einzeln von der Brücke getragen; einzelne, die sich am Boden festgeklebt hatten, wurden von Sanitätern fachgerecht versorgt. Ich hatte keinen rechten Mut, mich an der Blockade zu beteiligen, habe mich stattdessen am Rand aufgehalten und zeitweise gefilmt. Das haben noch ein paar Weitere getan, und ich bilde mir ein, dass auch das deeskalierend wirkte. Es steht zu hoffen, dass die anwesenden Polizisten ein Interesse hatten, keine all zu unvorteilhaften Bilder zu produzieren.
Merkwürdig war die Situation auf der besetzten Brücke, als – wenn ich recht gesehen habe – Andreas Scheuer zu Fuß unsere Blockade durchquerte. Nachdem XR sämtliche Zufahrten zum Regierungsviertel blockiert hatte, blieb ihm wohl nichts anderes übrig. Die wenigsten der Anwesenden nahmen davon Notiz, und von den Übrigen war niemand geistesgegenwärtig genug, ihn anzusprechen oder ihm etwas halbwegs Sinnvolles hinterherzurufen. Schade. Da heißt es in den offiziellen XR-Kanälen Tag für Tag „Scheuer blockieren“, und im entscheidenden Moment fällt einem nichts Vernünftiges dazu ein.
Morgen werde ich wieder abreisen – erneut mit gemischten Gefühlen. Habe ich mich „genügend“ engagiert? Klar, ich habe mir ein paar Tage für die Teilnahme freigenommen und mich auf unbequeme Situationen eingelassen. Für die Nachtschicht an der Mahnwache habe ich mir einen Wecker auf ein Uhr morgens gestellt und meinen Schlafrhythmus gehörig durcheinandergebracht. Andererseits bin ich in einem weichen, warmen Bett aufgewacht und anschließend frisch geduscht auf meinem vollgefederten Fahrrad der Rebellion entgegengeradelt. Ich dachte mir manches Mal: im Vergleich zu dem, was der Menschheit in den kommenden Jahrzehnten durch die Klimakrise droht, ist das alles noch recht kuschelig. Was bedeutet es, wenn ich mir Greta Thunbergs „I want you to panic“ zu Herzen nehme?Wie sehr darf/muss Aktivismus im Jahr 2020 wehtun, ungemütlich sein?
Dazu kommt, dass sich die rebellion wave keineswegs „füllig“ anfühlte. Es sind Rebelli aus ganz Deutschland, teils sogar aus dem Ausland, angereist – aber gefühlt sind wir nur wenige hundert Menschen. In einer Stadt wie Berlin macht das nicht wirklich Eindruck. Wenn ich ehrlich bin, kann ich es der Politik nicht verdenken, wenn sie unsere Aktionen nicht groß ernstnehmen. Von den 3,5% der Bevölkerung, die laut XR für eine entscheidende Wende mobilisiert werden müssen, scheint die Bewegung im Jahr 2020 weiter entfernt denn je.
Erneut fahre ich nach Hause ohne das Gefühl, meinen Platz gefunden zu haben. Obwohl ich sehr bald nach der Gründung von XR Deutschland dazugestoßen bin, fällt es mir schwer, mich in der Kommunikations- und Organisationsstruktur zurechtzufinden. Die (berechtigte) Angst vor Unterwanderung durch Zivilpolizisten macht es nicht einfacher – wie kann ich dem inneren Kreis glaubhaft vermitteln, dass ich Gelegenheitsaktivist vertrauenswürdig bin?
Dass die „Rebellion gegen das Aussterben“ enorm wichtig ist… dass es seitens der Politik ungleich entschlossenere Schritte braucht, um das Schlimmste zu verhindern… davon bin ich nach wie vor überzeugt. Was ich daraus für mein persönliches Handeln ableite, und wie ich mich künftig für eine wirksame Klimapolitik engagiere, bleibt wohl trotzdem weiter offen.
Danke L., habe mich gestern auch dauernd gefragt, wie es dir ergangen ist. Schon habe ich eine Antwort. Lass uns mal gemeinsam nachdenken, wie es weitergeht. Ich finde auch, dass wir wesentlich mehr tun müssten.
Danke für deinen Bericht und deine Fragen. Ich frage mich auch: Wie können wir mehr Menschen aktivieren? Was sind sinnvolle Aktionen? Bis bald und danke, das du dabei warst.