Bits & Bäume 2022 – die Eröffnung

Die erste Bits & Bäume-Konferenz 2018 hat mich seinerzeit wahnsinnig inspiriert und prägt mein Wertesystem bis heute. Dieses Jahr fand sie zum zweiten Mal statt – juhu! Eindrücke vom Eröffnungsabend.

Vier Jahre lang hat man eher wenig gehört von Bits & Bäume – und doch scheint eine Menge geschehen zu sein: die Vorstellung der Institutionen, die den Trägerverein bilden, ist imposant. Man hat den Heise-Verlag als Medienpartner gewonnen, im nächsten Atemzug wird aber auch zum „Engeln“ aufgerufen – also etwa zum Gemüseschnibbeln, damit das Essen aus der Küfa rechtzeitig fertig wird. Der Spirit hat sich also gehalten – schön!

Lewis Akenji und Elisa Lindinger umreißen in ihren Auftakt-Talks das Themenfeld der Konferenz zwischen Digitalisierung und Nachhaltigkeit, und hinterfragen übereinfache Lösungsansätze wie das (schon etwas ältere) Streaming-Shaming: „Schau nicht so viel Netflix, dieser ganze Internet-Stromverbrauch ist schlecht für die Umwelt!“. Ja, diese komplette Abwälzung der Last auf den Konsument*i ist nur ein Bruchteil der Wahrheit und lenkt ab von der Verantwortung der Tech-Giganten.

Beim darauffolgenden Eröffnungspanel erklärt Hendrik Zimmermann den Zusammenhang zwischen Datenschutz und Umweltschutz: personalisierte Werbung und Tracking regen zur Nutzung von Endgeräten an, die wiederum Clouddienste voraussetzen, die wiederum Energie verbrauchen, die (auch) dafür verwendet wird, die gesammelten Daten auszuwerten, um… und so weiter. Das Ausspielen von Werbung im Internet habe einer Studie zufolge einen Strombedarf, der dem Großbritannines nahekäme. Je nach Schwerpunkt wäre das gar nicht so schlimm, aber Werbung finde (fast) ausschließlich für Konsum und Neugeräte statt, nicht nennenswert für Gebrauchtware oder Wiederverwertung. Das leuchtet ein.

Franziska Brantner von den Grünen überrascht mich dagegen mit eher neoliberalen Thesen: Wir brauchen ein Energielabel für Künstliche Intelligenz! (Und das entwickeln wir am besten mit Hilfe von, äh, Künstlicher Intelligenz!) Recycling seltener Erden ist gar nicht so toll – Neuförderung braucht viel weniger Energie! (Ja, und wie lange noch?) Und: kauft euch digitale Heizkörperthermostate – die retten das Klima! (abgesehen von der zur Herstellung nötigen Energie, den Batteriebergen und unter der Voraussetzung vernünftiger Programmierung… ja, vielleicht, ein bisschen).

Ich merke schon: das Wochenende wird viel Input bereithalten: dabei ist das erst der Auftaktabend mit läppischen drei aufeinanderfolgenden Veranstaltungen. Ab morgen geht es dann mit bis zu siebzehn parallel laufenden Vorträgen und Workshops erst richtig los. Weil man dabei unweigerlich was verpasst, wurde auch noch ein Blog eingerichtet. Damit ich mitbekomme, was ich alles verpasse – oder noch einen Strang mehr zu verpassen habe.

Nahtlos weiter geht es mit dem Kollektiv vollehalle, denen in ihrem Bühnenprogramm der Spagat gelingt, sich schonungslos mit der Klimakrise auseinanderzusetzen, und dabei trotzdem optimistisch zu bleiben. Weil es so entschieden mehr Spaß mache, die Welt zu retten.

Da werden dann unbequeme Fakten aufgespießt (nur 20% der EU-Getreideproduktion lande auf dem Teller, der Rest in Biosprit, Biogas oder im Müll) und pointiert kommentiert („Wir haben keinen Mangel an Lebensmitteln, wir haben einen Mangel an Anstand“). Darauf folgt ein Mut machendes Beispiel aufs Nächste: etwa von der Region Rhein-Hunsrück, die vor vierzig Jahren mit einer Menge Naivität „halt mal irgendwo angefangen hat mit diesen erneuerbaren Energien“ und heute mehr als das Dreifache des Eigenbedarfs auf diesem Weg erzeugt.

Oder das Institut für partizipatives Gestalten, dem es in Großgruppenprozessen immer wieder gelingt, scheinbar unversöhnliche Positionen unter einen Hut zu bekommen – einfach indem man (unter erstklassiger Moderation) miteinander redet.

Oder die Hamburger Anwältin Roda Verheyen, die Musterklagen gegen RWE oder VW führt wegen deren Beitrag zur Erderwärmung.

Auch das Bruttoinlandsprodukt – noch heute vielfach fälschlich als „Wohlstandsmessgröße“ missbraucht, wird im Verlauf des Programms immer weiter entzaubert: verunglückte Öltanker etwa sind erste Sahne fürs BIP: was diese Wiedergutmachung der Umweltschäden kostet! Selbstausbeutung im Beruf ist gleich doppelt gut: durch Consolation Goods, also „Trostkonsum“ wie Schokolade oder den dringend nötigen Yoga-Retreat auf La Gomera leiste ich zusätzlich meinen Beitrag zum BIP – ohne dass der ausbleibende Beitrag zum Gemeinwohl sichtbar würde. Gesund zu leben dagegen ist schlecht fürs BIP – da bricht ja das Geschäft mit dem Kranksein ein!

Auch ein Zitat von Kondiaronk bleibt mir hängen: „Erfolgreiche Gemeinschaften zäunen das Ego ein, nicht das Land!“

Also – Optimismus fetzt! Während dieses Inspirations-Feuerwerks habe ich tatsächlich noch Zeit, mich zu fragen, ob meine Stadt wirklich einen mit Augmented Reality aufgepimpten Kunstwanderweg braucht, und ob ich wirklich meine Lebenszeit darauf verwenden will, so was an den Start zu bringen. Was man als ITler halt so für Anfragen bekommt…

Den letzten Programmpunkt – das antikapitalistische Jodelduo – spare ich mir, nehme aber gerne das Bild mit, wie das Security-Team – dem Anschein nach mit Migrationsvordergrund – mit einer Mischung aus Belustigung und Fassungslosigkeit diese zwei durchgeknallten Menschen beäugt.

Auf dem Heimweg freue ich mich über die Entscheidung, die zehn Kilometer zu meiner Unterkunft per Rad zurückzulegen. Das lüftet den Kopf durch, und fast bedauere ich ein wenig, dass mein Arbeitsweg durch Arbeit und Leben in Gemeinschaft sich fast auf null reduziert hat. Die gewonnene Zeit wird ja – wenn man nicht aufpasst – im Nu durch zusätzliche Arbeit aufgefressen.

Etwas weiter auf meinem Heimweg stolpere ich dann noch in eine nächtliche Critical-Mass-Demo und halte ein paar Minuten an, um mir das anzuschauen: auf der einen Seite ein nicht enden wollender Strom aus hunderten Radler*innen, die unsere Straßen für sich beanspruchen, und auf der anderen Seite fünf Autofahrer*innen, die innerhalb kürzester Zeit ihre Blechboliden ineinander verkeilen beim Versuch, dieser Belästigung durch Flucht gegen die Fahrtrichtung zu entkommen. Wem wird wohl die Zukunft gehören? Wenn ich es mit dem Optimismus halte, hätte ich da so eine Idee.